Der Schriftsteller als begnadeter Leser

Werbung
Werbung
Werbung

Vom Schreiben konnte selbst ein Großmeister wie Vladimir Nabokov nicht leben. Also war er angewiesen darauf, dass er zu Lesungen und Vorträgen eingeladen wurde oder dass ihm eine Universität die Möglichkeit bot, über Literatur zu sprechen. Als Nabokov (1899-1977), der als russischer Emigrant zu einem unsteten Leben verurteilt war, in New York ankam, arbeitete er eine Reihe von Vorträgen aus, mit denen er sich über Wasser zu halten hoffte. Und tatsächlich kam er zu Aufträgen.

An der Stanford-Universität in Kalifornien referierte er über moderne russische Literatur. Dieser Vortrag "hatte zwei Zuhörer, der über die Kunst des Schreibens doppelt so viele. (Nabokovs Honorar: 750 Dollar, keine Reisekosten)", merkt Dieter E. Zimmer dazu im Nachwort an. Besser erging es ihm an der Eliteuniversität Cornell. Er erhielt eine Dauerstelle mit einem Jahresgehalt von 5.500 Dollar, was ihm Freiraum in seiner eigenen Lebensgestaltung schuf. Erst nachdem er sich dem europäischen Roman zugewandt hatte, stellte sich auch der Erfolg ein. Mit 400 Zuhörern leitete er dort die größte Lehrveranstaltung überhaupt -abgesehen von einem Gastseminar des Folksängers Pete Seeger jedenfalls.

Über die großen Bücher der Weltliteratur

Nabokov nahm sich die großen Bücher der Weltliteratur vor, Jane Austens "Mansfield Park" und Franz Kafkas "Die Verwandlung", Marcel Prousts "In Swanns Welt" und den "Ulysses" von James Joyce. "Bei der Lektüre sollte man auf Einzelheiten achten und sie liebkosen", schreibt er und fordert seine Hörer zur genauen Lektüre auf. Er warnt vor "einer gebrauchsfertigen Verallgemeinerung", weil es zuerst darum gehe, einen Text als Individuum zu fassen. Für Nabokov besteht das Wesen der Kunst darin, dass sie eine eigene Welt schaffe, der sich der Leser als "etwas vollkommen Neuem zu nähern" habe. "Erst wenn diese Welt gründlich untersucht ist, dann und nur dann wollen wir ihre Verbindungen zu anderen Welten, und zu anderen Wissensgebieten, unter die Lupe nehmen." Nabokov hält überhaupt nichts davon, Romane gleichsam als Zeitzeugen einer fernen Vergangenheit aufzufassen. "Die Wahrheit ist, dass große Romane große Märchen sind".

Mit dieser Gewissheit nähert er sich Marcel Proust, dem attestiert wird, dass er als Erinnerungsfanatiker die Genauigkeit der Wahrnehmung auf die Spitze getrieben habe. Für Nabokov handelt es sich bei dem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" aber "um eine Heraufbeschwörung der Vergangenheit, nicht ihre Beschreibung". Er geht noch weiter: "Es ist kein Sittenspiegel, keine Autobiographie, kein historischer Bericht. Es ist ein Werk reiner Phantasie " So ist das mit der Wirklichkeit, sie ist letztlich auch nichts anderes als eine Erfindung -aber was für eine!

Vorlesungen über westeuropäische Literatur Von Vladimir Nabokov, herausgegeben von Fredson Bowers und Dieter E. Zimmer, aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf und Dieter E. Zimmer, Rowohlt 2014.784 Seiten, gebunden, € 39,10

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung