Die Tragödie zieht alle in ihren Bann

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Vom deutschen Feuilleton wird seit Jahren jegliche Verballhornung der Meisterdramen Shakespeares oder von Verdis Shakespeare-Opern bejubelt. Dem widersetzt sich die Grazer Operndirektorin Elisabeth Sobotka, indem sie Stephen Lawless mit der Realisierung von Verdis "Otello“ betraut.

Keine Spaßgesellschaft tobt da über Zypern, keine Sonnenbrille, kein Boss-Anzug, keine britische Uniform,keine nackte Truppenbetreuerin, kein Liegestuhl, kein Laptop, kein Fluchtkoffer oder gar eine abendgekleidete Versammlung von beautiful people ist da störend aufgeboten. Einfache Leute in mittelalterlicher Garderobe, Soldaten mit Schwertern stehen da vor einem angedeuteten Meer. Keine Tsunami-Welle türmt sich, kein venezianischer Schiffsrumpf droht da zu zerschellen. Nur ein überlebensgroßes Kruzifix pendelt da im Sturm.

Jago als Verwandter des Rigoletto

Jago, der wie ein Zwilling des Rigoletto als Clown und Spaßmacher vor die Leute tritt, saugt beobachtend auf, wer in der Menge welche Reaktion auf Otellos unsichere Landung zeigt. Otello landet sicher und greift sich den pendelnden Christus, kniet nieder und perlt weiter seinen Rosenkranz (ob er eine Sure aus dem Koran betet?). Angewidert wendet sich Jago ab. Offenbar beschließt er in diesem Moment, Otello zu Fall zu bringen.

Ein erster szenischer wie musikalischer Höhepunkt scheint die Situation zu entschärfen: Desdemona und Otello in ihrem Liebesduett auf Wüstensand unterm Sternenhimmel.

Schlag auf Schlag folgt der zweite überragende Höhepunkt: Auch wenn es "nur“ von Librettist Arrigo Boito ist und nicht von Shakespeare, ist Jagos "Credo“ so krass und singulär wie kein anderes Kunstprodukt des 19. oder 20. Jahrhunderts. Jago speit seine Gottesleugnung so eisig und zynisch auf die Bühne, dass einem auch heute noch das Blut in den Adern stockt. Kein Schauermechanismus aus Barocktragödien wird da aus dem Archiv geholt, keine Psychoanalyse eines atheistischen, amoralischen Scheusals geboten, sondern das moderne Bild eines egomanen verderbten Überbaus, das so von keinem Feuerbach, Nietzsche oder Marx formuliert ist. In Graz singt dies der britische Nobelbariton James Rutherford, weltweit schon erfolgreich als pastoser Wolfram oder Vater Germont, transzendent entrückt auch als Jochanaan und im Fauré-Requiem, ohne Schonung seiner Mittel: eine außerordentliche Interpretenleistung.

Damit ist der nahe Fall Otellos besiegelt. Wie ein Epileptiker stürzt der beleibte holländische Tenor Frank van Aken mehrmals in auf dem Boden zuckende Konvulsion, holt immer neue Stimmreserven aus der breiten Brust, ohne voll die glühende Schärfe der italianità abrufen zu können. Siegmund und Tannhäuser und Tristan sind genuiner in seiner Kehle, demnächst wird er in Graz auch den Ägisth gestalten.

Als wandelnde Unschuld in Blau oder Weiß weiß Desdemona nicht, wie ihr geschieht. Ihre Bitten um Gnade für Cassio, ihr Lied von der Weide berühren mit fast engelhaftem Ton, ihr Ave Maria murmelt die israelische Sopranistin Gal James, als ob sie ihre letzte Hoffnung schon verloren hätte. Otello erwürgt sie folgerichtig mit dem verhängnisvollen Utensil, dem fazzoletto, das ihr Otello einst geschenkt hat.

Stephen Lawless’ einzige Verbeugung vor dem Feuilleton ist die gewöhnungsbedürftige Stilisierung Jagos zum zeitweiligen Hofnarren mit Punk frisur und Clownnase. In Summe aber weiß der Glyndebourne-erprobte Brite, wo Shakespeare und Verdi das Publikum packen und treibt in seiner Personenführung die unausweichliche Tragödie wie einen film noir voran, sodass es den ganzen Abend keine Nahtstelle für den Zwischen-Beifall des Publikums gibt.

Kostbarer Klangteppich

Frank Philipp Schlößmann, der Bühnenbildner, arbeitet mit einem hydraulischen Boden, der unter Otello und Desdemona wankt, und mit Vorhängen, die Jago als großer Spielleiter auf- und zuzieht. Besonders geglückt ist der Bühnenrahmen, auf dem imposant ein "Jüngstes Gericht“ zu sehen ist.

Dirigent Johannes Fritzsch evoziert dieses Gericht ohne Überdruck und Lautstärkenvervielfachung, holt aus Geigen und Celli kostbare Klangteppiche, die den Stimmen der Protagonisten auf die Sprünge helfen.

Von Jorge Jaras’ Kostümen überraschen positiv die vier Bischofsornate für die Abgesandten des Dogen aus der Serenissima.

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