Librettist Christoph Klimke über das Sujet von Johannes Kalitzkes neuer Oper „Die Besessenen“, die demnächst im Theater an der Wien uraufgeführt wird.
Die Musik kennt er noch nicht. Aber von früheren Werken von Johannes Kalitzke weiß der 1959 in Oberhausen geborene, heute als Schriftsteller und Dramaturg in Berlin lebende Christoph Klimke, dass der Komponist jeweils sehr vom Wort aus geht. Für Klimke, bisher bekannt als mehrfach preisgekrönter Autor politischer Stücke, aber auch von Lyrik, war es eine Premiere. Er kannte weder den Roman von Gombrowicz, von dem er bis dahin „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ im Berliner Ensemble und im Wiener Volkstheater gesehen hatte, noch hatte er zuvor ein Libretto verfasst.
Dazu verführt haben ihn Roland Geyer, Intendant am Theater an der Wien, und der Komponist. Und weil es im Leben oft nicht bei einem bleibt, kam mittlerweile auch schon eine zweite Libretto-Arbeit dazu. Für den Einakter „Das Holzschiff“ (nach dem Roman von Hans Henny Jahnn) von Detlev Glanert, der im Oktober in der Oper Nürnberg uraufgeführt werden wird. „So hatte ich das Glück, gleich mit zwei Komponisten arbeiten zu können.“
Acht, neun verschiedene Versionen
„Ich habe mich mit vielen Autoren von gestern kreativ beschäftigt, zum Beispiel Bücher geschrieben über Pasolini und Lorca“, versucht der Berliner Autor eine Erklärung, weshalb man gerade ihn als Librettisten ausgewählt hat. „Wir haben uns oft getroffen in Wien und Berlin, sind durch den Roman gegangen und haben uns überlegt, welche Figuren brauchen wir, welche Handlungsstränge sind wichtig, was können wir weglassen, worauf legen wir einen Schwerpunkt, was hat das mit heute, was mit uns zu tun, was ist sprachlich gut, was für die Musik, was sind sprachliche Hindernisse“, schildert er die Stationen seiner Arbeit. Den ersten Libretto-Entwurf hat er erst einmal vier Wochen rasten lassen, dann einen weiteren verfasst und dem Komponisten geschickt. Schließlich konnte Johannes Kalitzke aus acht, neun verschiedenen Versionen auswählen.
„Er beschreibt die Liebe als Willensanstrengung“, charakterisiert Klimke die Intention von Gombrowicz’ Roman. „Dieses Liebespaar Maja und Leszczuk wollen einander, sie sind besessen“, erklärt er den Titel, aber gibt zu bedenken: „Besessenheit ist nicht unbedingt etwas Positives. Es hat irgendwas von einer krankhaften, manischen Hörigkeit. Diese Besessenheit haben sie zuerst im Tennis – komischerweise ein Sport ohne Körperkontakt. Der Fürst ist besessen von der Vergangenheit, der Kunsthistoriker von der Kunst, der Erbschleicher vom Profit.“
Klimkes Resüme: „Eigentlich liebt sich jeder am meisten und ist auf seinen Vorteil bedacht. Keiner hat irgendein Schuldbewusstsein. Dieses Liebespaar verwechselt Unreife mit Liebe. Am Ende des Romans, wo kein Geheimnis mehr ist, findet die Liebe auch nicht mehr statt.“ Ihm komme dies so vor „wie der implodierende Kapitalismus, in dem wir Demokratie mit Konsumfaschismus verwechseln, der Bürger nur noch Konsument, Klient oder Patient ist. Das Ganze ist ein riesen Prozess der Selbstverstörung“, versucht er vorweg die Meinung zu konterkarieren, der Roman von Gombrowicz wäre anachronistisch.
Im Gegenteil: „Mit diesem Weg vom Hotel, der ein kommerzieller Ort ist, durch den Wald, der vielleicht ein Ort der Freiheit ist, zum Schloss, der der Ort der Vergangenheit und des Rätsels ist, mahnt Gombrowicz vielleicht zu einer Umkehr.“ Das, gibt sich Klimke überzeugt, „hat nichts mit Rückwärtsgewandtheit zu tun, sondern mit dem Rückgewinnen von Reichtümern, die nicht aus Gewinnmaximierung gewonnen werden können.“ Schließlich plädiere Gombrowicz in all seinen Werken dafür, dass man bestimmte Dinge wieder zurückgewinnen und sie nicht verscherbeln soll. Für den wiederholt mit Hans Kresnik zusammenarbeitenden Berliner Autor ist damit die Botschaft dieses Sujets klar: „Die Umkehr ist die Revolution.
Erotische, archaische Kraft
Witold Gombrowicz, mit dessen Leben und Werk sich Klimke anlässlich dieses Librettos näher auseinandergesetzt hat, sieht er als „Meister der Überraschungen und Rätsel. Seine Figuren in all seinen Texten überschreiten Grenzen, landen in anderen Räumen und Zeiten, die sie bislang nicht gekannt haben. Das hat manchmal eine erotische Kraft, manchmal eine selbstzerstörerische, ist immer spannend, immer auch etwas versponnen. Manche mögen das nichts zeitgemäß finden. Ich finde das aber sehr zeitgemäß, weil er die Selbstzerstörung unserer Gesellschaft beschreibt.“
Schon bei „Yvonne“ hat Klimke übrigens Gombrowicz’ „anarchische Kraft, wenn die Oberschicht auf die untere trifft und so ein erotisch-anarchischer Aufbruch entsteht“, fasziniert.
Ob und wie dies die Musik vermitteln wird? Spätestens nach der Uraufführung am 19. Februar wird man es wissen.