Ein Ironiker kann es einfach nicht lassen

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Er macht sich lustig über die anderen und sich selbst. Worüber immer Mark Twain (eigentlich Samuel Langhorne Clemens, 1835-1910) auch schreibt, es will ihm nicht gelingen, ernst zu bleiben. Das ist gut so, denn damit verbirgt er, dass er als kritischer Geist an der Substanz der Gesellschaft rüttelt. Er traut den Menschen nicht besonders viel zu. Politiker, an denen er Gefallen findet, sind rar, Zeitungsschreiber, denen er Glauben schenkt, gibt es wenige, dem Glauben an Fortschritt misstraut er zutiefst. Alles unangenehme Einsichten, die er seinen Lesern auftischt, und die kaufen ihm das alles ab allein deswegen, weil er damit so charmant, witzig und überzeugend verfährt, dass sich so richtig verletzt niemand zu fühlen braucht.

Ein Beispiel: Mark Twain ist der Überzeugung, dass der Mensch unfähig ist, "einen eigenen Gedanken zu fassen". Es kommt nichts Neues in die Welt, weil bereits Gedachtes gierig aufgegriffen wird, um "daraus Secondhand-Gedanken zu fabrizieren". Das formuliert er nicht als Vorwurf an seine Leser, die er damit zu kritiklosen Konsumenten schrumpfen lässt, sondern verwendet sich selbst als Versuchsperson, an der er seine These zu beweisen unternimmt. "Anhand meiner eigenen Person habe ich den Menschen viele Jahre - ja, ein Vierteljahrhundert lang - mit größter Sorgfalt studiert". Dagegen lässt sich schwer argumentieren. Jeder, der sich ertappt fühlt, darf aufatmen und sich seiner Schwäche als einer lässlichen Sünde bewusst werden. Man sieht, Mark Twain, der Zweifler, Spötter und scharfe Denker hat es faustdick hinter den Ohren, um seinen Lesern hineinzusagen, was er von ihnen hält.

Vivisektion der Gesellschaft

Seine Zeitgenossen aber durften Mark Twains Vivisektion der Gesellschaft nicht beiwohnen. Er hatte verfügt, dass sein als Autobiografie nur mangelhaft bezeichnetes Gedanken-und Erlebnisbuch hundert Jahre unter Verschluss zu halten sei. Damit glaubte er sich frei durch seine Erinnerungen zu bewegen und unangestrengt Überlegungen anstellen zu dürfen, ohne aus Rücksicht auf andere Selbstzensur üben zu müssen. Vor zwei Jahren erschien der erste Teil der Aufzeichnungen. Jetzt sind auch die nächsten 104 Diktate, den Zeitraum vom 2. April 1904 bis zum 28. Februar 1907 umfassend, erschienen.

Die vorzügliche Edition ist auf zwei Bände angelegt. Der erste bringt den von Hans-Christian Oeser großartig übersetzten Text, der zweite Band liefert Zusatzinformationen, um hinter Anspielungen steigen zu können, Personen zu identifizieren und den Zeithintergrund zu klären. Eine Fundgrube kluger und witziger Einsichten, brillant formuliert.

Ich bin der eselhafteste Mensch, den ich je gekannt habe. Neue Geheimnisse meiner Autobiografie.

Von Mark Twain.

Hg. von Benjamin Griffin und Harriet Elinor Smith.

Aus dem Amerikan. von Hans Christian Oeser.

Aufbau Verlag 2012.

1040 S., 2 Bd. , kart., e 51,30

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