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Brandmal Biafra

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Es ist bereits mehr als ein Jahr vergangen, seit sich das frühere Bundesland Ostnigerien des Bundesstaates Nigerien am 31. Mai 1967 als selbständigen Staat Biafra proklamiert und damit von Nigerien zu trennen versucht hat. Seit 6. Juli 1967 läuft eine militärische Aktion der nigerianischen Militärbundesregierung mit dem Ziel, diese Sezession zu beenden. Aber aus diesem als „Polizeiaktion“ zur Ergreifung „des Rebellen Odumegwu Ojukwu und seiner Clique“ begonnenen Unternehmen wurde der erste, mit modernen Mitteln ausgetragene Krieg in Afrika südlich der Sahara, mit allen Schrecken eines solchen modernen Krieges, aber auch teilweise außerhalb der anerkannten Regeln der Kriegsführung geführt. Die bisherige Bilanz dieses Krieges, der in sein zwölftes Monat getreten ist, drückt sich in den Zahlen von 100.000 Toten, einer unbekannten Anzahl von Verwundeten und Verstümmelten und 600.000 Flüchtlingen aus.

100.000 Tote: diese Zahl schließt möglicherweise die 30.000 ostnigeri-

schen Pogromopfer des Jahres 1966 in Nordnigerien ein, deren Abschlachtung die Massenflucht von mehr als 1,5 Millionen Ostnigerianern aus dem Norden, aber auch dem Westen Nigeriens in die ursprüngliche Heimat auslöste und die den emotionellen Hintergrund zur Sezession Biafras bildete. In einer offiziellen, nigerianischen Informationsschrift sind Zweifel an der Höhe dieser Zahl ausgedrückt worden, die von Ojukwu erst während der Ausgleichsverhandlungen geltend gemacht worden wäre, die im Jänner 1967 in Aburi in Ghana stattfanden, mit dem Ziel, höhere Entschädigungen verlangen zu können. Diese Zweifel sind leider unstichhältig, da sich die Schätzungen der Opfer bereits im Oktober 1966 in der britischen Presse, und zwar von seifen durchaus qualifizierter Beobachter wie Colin Legum (im „Observer“) angegeben, auf die ominöse Zahl von 30.000 belief.

Wieviele Menschen erst seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Jahre 1967 getötet worden sind, läßt sich zunächst nicht sehr genau ermitteln. Sicher ist, daß die Mehrzahl davon nicht Kombattanten, sondern am Kampfgeschehen unbeteiligte Zivilbevölkerung war. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf richtete Ende Mai — zum drittenmal innerhalb von drei Monaten — an die nigerianische Bundesregierung in Lagos einen Protest wegen der Durchführung gegen die Zivilbevölkerung gerichteter Bom benangriffe der nigerischen Luftwaffe. Berichte über den Einsatz von Napalm gegen Dörfer und Märkte (!) sind in der europäischen Presse seit Februar aufgetaucht. Wenigstens der Einsatz von Napalm ist inzwischen eingestellt worden; doch wurden zahlreiche Schulen, Krankenhäuser, Kirchen und Missionsstationen durch Bombenangriffe zerstört, die hunderte von Opfern gefordert haben.

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