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Wahrheit gegen Trend

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Der bekannte Jurist Heinz Barazon, der die Nazizeit als Emigrant in Israel verbrachte und nachher wieder in seine Heimatstadt Wien zurückkehrte, äußerte kürzlich in der „Gesellschaft für Literatur" bei einem Vortrag über „Das Bild Österreichs" bemerkenswerte Ansichten, die umso mehr Gewicht haben, als es sich dabei um die Beurteilung durch einen selbst unmittelbar Betroffenen handelt.

Barazon spricht von der „ersten Invasion Hitlers, die über die Grenzen der Weimarer Republik hinausging", in bezug auf den Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938. Er tritt der Meinung mehrerer österreichischer Autoren und Historiker entgegen: „Österreich sei ein ,Land der Nazis und Mörder'".

Warum ist Hitler gerade an diesem Tag einmarschiert? Weil, so Barazon, die von Schusch-nigg angesetzte Volksabstimmung „nach der übereinstimmenden Meinung aller Kommentatoren und der Regierungen in Wien und Berlin mit überwältigender Mehrheit zugunsten der Selbständigkeit Österreichs" ausgegangen wäre. Der von den Nazis glänzend organisierte Jubel auf dem Heldenplatz und manchen Straßen repräsentierte eine Minderheit von schlimmstenfalls einem Drittel der Österreicher. Es genügten wesentlich weniger, „um Begeisterung für Hitler" zu demonstrieren. Die Abstimmung vom 10. April (98 Prozent für den Anschluß) ähnelt fatal allen nach Machtergreifungen erfolgten Wahlen in den kommunistischen Diktaturen, die immer zu positiven Ergebnissen geführt haben. Barazon unterstreicht, was alles nach 1945 in Österreich zur Bestrafung von Naziuntaten getan wurde. Zwischen 1945 und 1955 kam es zu 13.607 Schuldsprüchen, (43 Todesurteile, 30davon wurden vollstreckt).„Für die Verfolgungshandlungen und den Zweiten Weltkrieg war juristisch' das nationalsozialistische Deutsche Reich allein verantwortlich beziehungsweise die BRD." Traurig, daß viele frühere Österreicher, die dann wieder Österreicher wurden, mit deutschem Paß oder deutscher Uniform an Verbrechen teilnahmen. „Es kann nicht gesagt werden, daß Österreich auf dem Gebiet der Wiedergutmachung nichts geleistet hätte", so Barazon. Es ist dringend notwendig, auch einmal eine solche, sehr kompetente Stimme zu hören und einer „Politik der Gefühle", die oft falsche aber lärmende Gefühle sind, entgegenzuhalten.

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