Getroffen von der Rache Strahl

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Das Wiener Volkstheater begann die Saison wieder mit einem Frauenstück der Weltliteratur, der "Elektra" des Sophokles.

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Das Wiener Volkstheater begann die Saison wieder mit einem Frauenstück der Weltliteratur, der "Elektra" des Sophokles.

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Vor über 2.400 Jahren ist die "Elektra" des Sophokles entstanden, ein Gruß aus grauer Vorzeit, als die Welt noch nicht so aufgeklärt, die Gesellschaft noch nicht so tolerant und modern war, wie sie heute - nein: nicht ist, sondern nur erscheint. Das Thema ist leider immer noch aktuell. In den "heiligen Hallen" von Mozarts "Zauberflöte" mag man die Rache nicht kennen, doch ein kurzer Blick auf den Balkan, aber auch in andere Regionen, belehrt uns umgehend, daß Revanchedenken bis hin zur Blutrache nicht der Vergangenheit angehört.

Unter der Direktorin Emmy Werner steht am Wiener Volkstheater die erste Saisonpremiere traditionell im Zeichen einer großen Frauengestalt. Diesmal ist es die in der Weltliteratur mehrfach behandelte Elektra, Königstochter aus Mykene. Ihr Vater Agamemnon, siegreicher Führer der Griechen gegen Troja, wurde bei der Heimkehr von seiner Gattin Klytaimnestra und deren Liebhaber Aigisthos ermordet. Diese Tat ruft nach Vergeltung. Eine klassische Tragödie nimmt ihren unvermeidlichen Lauf - an einem Ort, an einem Tag, mit wenigen Personen und einem Hauptthema: der Rache. Elektra ist, bemitleidet, aber nicht unterstützt von ihrer Schwester Chrysothemis, bis zur Raserei die Betreiberin dieser Rache, ihr in der Fremde aufgewachsener Bruder Orestes soll das Vollzugsorgan sein. Doch zunächst wird - als List - der Tod des Orestes gemeldet und seine angebliche Asche in einer Urne auf die Bühne gebracht. Angesichts der Verzweiflung Elektras darüber gibt sich Orestes ihr zu erkennen. Dann schreitet er zum grausigen Tun im Sinne des damals verbreiteten, sogar religiös begründeten - und bis heute nicht ganz überwundenen - Denkens, Blut könne eben nur mit Blut abgewaschen werden.

Und blutig endet auch die Aufführung im Volkstheater obwohl die altgriechische Usance, rohe Gewalt nicht auf offener Bühne zu zeigen, befolgt wird. Doch Klytaimnestras Leiche und der grellrot wie ein Tierschlächter aus dem Tor tretende Orestes machen das grausige Geschehen deutlich. Von Beginn an kündigt sich das tragische Ende an, wenn bei Auf- und Abtritten die Türen des Palastes rasch und lautstark wie Fallbeile nach oben oder unten schnalzen.

Günther Gerstners Inszenierung begnügt sich richtigerweise mit einfachen Mitteln, mit einer vielleicht gar zu düsteren, spartanisch-kargen Bühne von Dirk Thiele (Sparta ist ja nicht weit vom Schauplatz Mykene). Doch mit dem Versuch, besonders dramatische Szenen noch durch Forcieren der Musik zu unterstreichen, liegt der Regisseur schief: Wo wenige Gesten der grandiosen Hauptdarstellerin Andrea Eckert und alles Nötige ausdrücken würden, wo Chortexte ausreichend Spannung erzeugen, dominiert die unnötige Geräuschkulisse. Der Einbau einer Arie aus der "Elektra" von Richard Strauss und ein Heiner-Müller-Text als Schlußmonolog vom Band sind gut gemeint, aber überflüssig. Dafür wirken etliche Bewegungsabläufe nicht präzise einstudiert oder allzu theatralisch.

Der Charakter der handelnden Personen, durchwegs gut bis sehr gut dargestellt, wird durch die Kostüme von Susanne Schmögner mehr als angedeutet. Brigitte Janner als herzlose Klytaimnestra wirkt wie auf dem Weg zum Opernball, die Chrysothemis der erneut großartigen Chris Pichler ist eine junge Dame von heute, modebewußt und konfliktscheu, Erwin Ebenbauers Aigisthos könnte gerade aus dem Spielkasino kommen. Ihre Rollen als Gegner dieses Establishments sieht man Andrea Eckerts leidenschaftlicher Elektra und Henry Meyers herbem Orestes, den Georgi Nikoloff als stummer Pylades begleitet, auf den ersten Blick an. Kaum zu erkennen ist Thomas Stolzeti als Erzieher des Orestes, der eloquent von dessen angeblichem Tod berichtet.

Das Premierenpublikum zeigte sich von den Schauspielern, insbesondere Andrea Eckert, und wohl auch vom zeitlos gültigen Werk des Sophokles weit mehr angetan als von der Inszenierung. Aber das ist ja nichts Neues und in Zeiten wie diesen sicher eher der Normalfall als umgekehrt.

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