Wo schwarzes Blut rinnt

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Völkermord rächen die Götter, so heißt es in Aischylos' "Orestie". Das Burgtheater zeigt eine gekürzte Fassung der Trilogie, Regisseur Antú Nunes findet archaische, große Bilder.

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Völkermord rächen die Götter, so heißt es in Aischylos' "Orestie". Das Burgtheater zeigt eine gekürzte Fassung der Trilogie, Regisseur Antú Nunes findet archaische, große Bilder.

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Regisseur Antú Romero Nunes überhöht und abstrahiert die grausame Geschichte der Atriden auf intelligente Weise: Er erzählt sie als überzeitliche Spirale des Mordens und Rächens, die sich - wenn sie nicht radikal unterbrochen wird - auf ewig fortsetzt.

Für Chor und Helden findet Nunes eine interessante Variante: Sieben Darstellerinnen sind einmal als Protagonistin und Protagonist zu sehen -etwa Barbara Petritsch als Aigisthos, Sarah Viktoria Frick als Elektra oder Irina Sulaver als Pallas Athene -dann sind sie wieder Teil des Volkes, kommentieren und reflektieren die Ereignisse. Zu Beginn gruppieren sich die Sieben an der Bühnenrampe und kündigen das baldige Ende des trojanischen Kriegs an.

Sie sind Zombies, in erdfarbene Fetzen gehüllt, die Gesichter weiß zugekleistert, die Augen liegen in dunklen Höhlen, der Mund ein roter Schlund.

Vom Blutrecht zum Staatsrecht

Eine Schräge verläuft perspektivisch in die Bühnen-Tiefe, wo das Feuerzeichen erscheint, das den Sieg über Troja zeigt. Nun tritt Klytaimnestra auf, die schöne Herrscherin in Mykene. Caroline Peters schwingt in großer Geste ihre Hüfte und rauft sich das (künstliche) Haarbüschel. All die Jahre der Abwesenheit ihres Mannes musste sie die Staatsgeschäfte führen. Zudem trauert sie um die von Agamemnon geopferte gemeinsame Tochter Iphigenie. Mit seiner Rückkehr (Maria Happel gibt Agamemnon in Stiefeln mit übergroßen Absätzen) kommt nicht nur der Ehemann und Herrscher heim, sondern mit ihm auch die "Kriegsbeute" Kassandra (Andrea Wenzl). Apoll verlieh ihr wegen ihrer Schönheit die Seher-Gabe, als sie ihn zurückwies, sprach er jedoch den Fluch aus, dass niemand ihren Weissagungen Glauben schenken wird. Klytaimnestra wird sie und Agamemnon schließlich erdolchen. Schwarzes Blut rinnt als bedeutungsaufgeladenes Zeichen von der Palastrampe zu Boden. Die Tragödie liegt darin, dass der Mensch die Hybris begeht, sich gegen die göttliche Ordnung zu stellen. Der Vatermord kann nicht ungerächt bleiben und so gerät der Sohn Orest (Aenne Schwarz) in das ausweglose Dilemma, die Mutter zu töten. Das wiederum ruft die ewige Verfolgung durch die Erinnyen, die Rachegeister, auf den Plan.

Die Szene zwischen Orest und Klytaimnestra wird zu einer interessantesten der Inszenierung. Eine riesige Kindermaske markiert das Täuschungsmanöver, denn die Mutter soll glauben, dass der Sohn in der Verbannung starb. Der Zweifel an der Tat wird zum starken Mutter-Sohn-Moment. Unmittelbar bevor Orest die Mutter erwürgt, sucht er Trost an ihrem Busen.

Die Schlussszene vor dem Geschworenengericht spart Nunes aus. Der Ursprung des Rechtsstaates wird somit nicht nachvollziehbar. Den Übergang vom Blutrecht zum Staatsrecht zeigt Nunes über die äußere Verwandlung der Frauen. Sie ziehen bunte Kleider über ihre sandigen Fetzen. Die Archaik aus dem Olymp ist jener der überschaubaren Hausgötter gewichen. Der Staat zieht ab nun den einzelnen Bürger in die Verantwortung. So positionieren sich die sieben Frauen exakt gleich wie im ersten Bild. Die Katastrophen bleiben dieselben, erscheinen nur in anderem Gewand. Die Spuren der bisherigen Verwundungen und Traumatisierungen sind nicht mehr sichtbar. Vorhanden aber bleiben sie, wenn es in einen neuen Krieg geht, in den Bürgerkrieg.

Bilder lassen sich auf die Gegenwart deuten

Nunes findet archaische, große Bilder, die sich in ihrer artifiziellen Form auf die Gegenwart deuten lassen. Die verheerenden Folgen des Krieges erschüttern Generationen.

Die pausenlosen 2 1/4 Stunden werden zwischenzeitlich ziemlich langatmig, das liegt am immer gleichen Spiel-Gestus, außerdem fehlen vielen Szenen die für diese Ästhetik notwendige Präzision. Nicht zuletzt harmoniert das Ensemble nicht immer, hier klafft die Qualität der schauspielerischen Leistung heftig auseinander. Sowohl sprachlich als auch in ihrer Haltung arbeiten vor allem Caroline Peters, Aenne Schwarz und Maria Happel hervorragend mit der offenen Bühne und zeigen ihr darstellerisches Vermögen. Viel freundlicher Applaus für eine Produktion mit Potenzial.

Orestie Burgtheater, 25., 28. März, 1., 2., 8. April

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