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Puritanische Atriden -Tragödie

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„Ist es möglich“, fragte sich Eugene O ' N e i 11 in einer Tagebuchnotiz (1926) zu seiner Trilogie „Trauer muß Elektra tragen“, „in einem modernen Drama mit einem mythologischen Stoff der griechischen Tragödie als Grundthema den antike Schicksalsgedanken ins Modern-Psychologische zu übertragen und ein gebildetes Publikum von heute ohne Glauben an Götter und göttliche Vergeltung damit zu erschüttern?“ Und 1929 notierte er: „Endlich richtigen Anfang für die erste Niederschrift gefunden! — Sezessionskrieg ist die einzige Möglichkeit ... Bürgerkrieg als Hintergrund einer grausamen Tragödie von Familienhaß und Liebe! Glauben an göttliche Mächte muß ersetzt werden durch das puritanische Dogma, daß es die Bestimmung des Menschen sei, zu sündigen und zu sühnen — die Furien sind im Menschen selbst, sein Gewissen.“ Indem O'Neill die Orestie in das Milieu des Sezessionskrieges übertrug, vollzog sich die Geburt der amerikani-ichen Tragödie.

O'Neill versucht, eine südstaatliche Familie samt ihrem Familienstolz, der jede Charakterschwäche und jeden Seitensprung verheimlicht, zu Heroen zu erheben. Aus der Königsfamilie Agamemnons ist die des Brgadegenerals Ezra Mannon geworden. Er kehrt nach dem Friedensschluß heim zu seiner Frau Christine-Klytämnestra, die inzwischen in dem Seglerkapitän Adam Brant ihren Ägisth und ihre große Liebe gefunden hat. Der Heimkehrer stirbt noch in der ersten Nacht durch Gift. Die Tochter Lavinia-Elektra überführt die Mutter der Tat, als deren Urheber sie Brant ansehen muß. Nun überstürzen sich die Ereignisse: Brant fällt von der Hand des Sohnes Orin-Orest. die Mutter erschießt ich aus Verzweiflung darüber, Orin geht

daran zugrunde. Die Furien, die ihn in den Wahnsinn hetzen, lassen erst von Lavinia ab, bis sie Trauerkleider anlegt und die Fenster des Totenhauses der Mannons vom Gärtner zunageln läßt.

O'Neill spart nichts: Sippe, Sippenhaß, Sippenliebe, Inzest, intimste Erfahrungen in der Familie, alles verwandelt er mit unheimlicher Kraft in das Schema des uralt-tragischen Stoffes. An der Verkettung von Schuld, Verhängnis und Sühne demonstriert er Reaktion und Seinsweise des modernen Menschen. Eine Welt der Lieblosigkeit gebiert Grausamkeiten, die unerbittlich und folgerichtig zum Tode führen. Manches erinnert darin an Dostojewski. Das Werk postuliert die Armseligkeit der Kreatur, als absurde „Liebe der Schuld zur Schuld“, wie es Orin-Orest wörtlich aussagt. Aber indem O'Neill seine Trilogie entgöttert, den erhabenen Stoff psychologisiert, bleibt die Schicksalstragödie ohne Gegenspieler und auch ohne die reinigende Kraft der Tragödie. Kein Held wächst hier über Menschenmaß hinaus, vertreibt das Unheil und stellt die Ordnung wieder her. Übrig bleibt das monumentale Stückwerk eines wahrhaft großen Dramatikers. Betroffen vom Ausmaß der Leidenschaften, denen die Handelnden verfallen sind, muß man am Ende feststellen, daß dem gigantischen Versuch das Größe-Ganze der Welt, ihre runde Wahrheit, abhanden gekommen ist.

Die Regie des jungen Erich N e u b e r g hielt sich an die übliche Verkürzung der gewaltigen Ausmaße des Werkes von 14 auf 11 Bilder und die Reduzierung des „Chores von Typen, die als menschlichen Hintergrund zu dem Mannonschen Drama die Stadt repräsentieren“ (O'Neill) auf einen Mann, den alten Gärtner Seth (von Günther H a e n e 1 eindrucksvoll darge-

stellt). Leider ging auch sein Lied, das sich wie ein Leitmotiv durch das ganze Stück zieht, „O Shenedoah, daß ich von dir schied“, verloren und damit der Bezug des Geschehens auf den Fluß, Sinnbild des Lebens, von dem die Mannons verbannt sind. Bei durchaus zulänglichen Schauspielerleistungen lief O'Neills unseliges, schwarzes Stück in dreieinhalb Stunden spannungsgeladen ab. Heidemarie H a-t h e y e r war als Christine bewegend und hatte einige große Szenen. Ihre Gegenspielerin, Annemarie Düringer als Lavinia, war anfangs zu sehr auf einen Ton eingestellt, überzeugte aber später, besonders in der letzten Auseinandersetzung mit ihrem Bruder Orin (ausgezeichnet Klaus Kammer, ein Gast aus

Berlin). Paul Hartmann gab ansprechend den alternden General Mannon, Heinrich Schweiger (in seiner Rolle arg verkürzt) den Kapitän Brant. Christiane H ö r b i g e r und Achim Ben-n i n g waren als Geschwister aus der Normalwelt, im Gegensatz zu dem erhaben-schrecklichen Ausnahmegeschlecht der Mannons, ein wenig zu farblos. Das Bühnenbild von Gerhard Hruby: die maskenhaft-abweisende Säulenfassade im klassizistischen Stil und das asketisch-kahle Wohnzimmer entsprach den szenischen Anweisungen. Das Publikum konnte sich der Wirkung des Stückes im Akademietheater nicht entziehen und zollte den Darstellern begeisterten Beifall.

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