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Politisches - Religioses

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Die hundertste Wiederkehr des Geburtstags von Gerhart Hauptmann naht. So war es Ehrenpflicht der heurigen Berliner Festwochen, seiner durch eine Aufführung zu gedenken. Erwin Pisca-t o r, der neue Direktor des Theaters am Kurfürstendamm, wählte hierfür die „ A t r i d e n - T e t r a 1 o g i e “, ließ sie erstmals an einem Abend spielen und führte selbst Regie.

Diese vier Stücke zeigen im Widereinander irdischen Strebern und überirdischer Einwirkung die metaphysische Bedingtheit des menschlichen Schicksals; sie zeigen das Unabwendbare der Geschehnisse im Gefolge des Atridenfluchs. Daß Gerhart Hauptmann da auch, antik getarnt, scharfe Kritik an den Machthabern seiner Zeit, am Nationalsozialismus, einflocht, iit nicht zu bestreiten. Doch aktiviert Piscator das Stück mit der Begründung, man könne nicht deutlich genug werden, einseitig in dieser Sicht. Er setzte hierfür die bei ihm gewohnten Mittel ein: seitlich der Bühne besagten Aufschriften, was jeweils geschah als Hauptmann diese Stücke schrieb, von der Kapitulation Frankreichs bis zum totalen Krieg; bei Aufgehen des Vorhangs sah man zuerst in Projektion die Totenmaske Hauptmanns, dann ein Bild des eingeäscherten Dresden. In der etwas pathetisch 'geratenen Aufführung sank dann unter, was nicht Zeitbezug ist. Die scharfe Verknappung des Textes wirkte als Digest-Fassung eines vielfachen Mordgeschehens.

Eine politische Kritik ganz anderer Art an Zuständen, die sich für unser Jahrhundert als kennzeichnend erwiesen, bot Franz Kafka in großartiger Vorausichau bereits im Jahre 1914 in seiner Erzählung „In der Strafkolonie“. Es geht da um die Faszination, die eine Hinrichtungsmaschine neuer Konstruktion bewirkt. Willi Schmidt hat diese Erzählung dramatisiert, und das nunmehrige Theaterstück als „Demonstration in Wort, Musik, Tanz und Pantomime“ auf der Bühne der Akademie der Künste aufgeführt. Es handelte sich da um den bewußten Versuch, totales Theater zu bieten. Das abstrakte Bühnenbild zeigte einige Eisengerüste. Die von Kafka eingehend geschilderte Hinrichtungsmaschine wurde pantomimisch durch Gestalten in eisengrauen Trikots auf solch einem Gerüst wiedergegeben. Zahlreiche Szenen löste Tatjana G s o v s k y grotesk tänzerisch: einzelne Figurengruppen trugen Masken. Eine Steigerung des Eindruckes vom Akustischen her erzielte die Musik von Erwin Härtung, die sich berechtigt von tonalen Bindungen freihält. Doch das Bewegungsmäßige und das Dialogische wirkten noch zu sehr nacheinander; eine volle Durchdringung wurde nicht erreicht.

Vorher brachte Willi Schmidt Kafkas Prosaitück „Ein Bericht füt eine Akademie“ auf die Bühne, worin ein Affe vor gelehrten Zuhörern seine Menschwerdung schildert. Klaus Kammer stellte beklemmend echt diesen Affen dar. Als Inversion des Gesehenen drängte sich die Frage auf, ob der Massenmensch sich nicht durch seine Entinnerli-chung wieder dem Tierischen nähere.

Ein locker gefügtes, in manchen Szenen beichwingt wirkendes Volksstück, „Das Testament des Hundes oder D i e Geschichte der Barmherzigen“ des 35jährigen brasilianischen Konvertiten Ariano Suassuna wurde in dei Schaubühne am Halleschen Ufer, einem sehr schönen, biiher unbespielten Theatersaal mit fünfhundert Plätzen, vorgeführt. Es geht da gegen die Habsucht eines Bischofs, einet Paters, einet Küsters, denen der Habe- und Taugenichts . Gr“0 eine legendäre, brasilianische ' Volksfigur, einen Streich spielt, indem er eine Erbschaft erfindet, die der verendete Hund der liber-tinen Bäckersfrau diesen dreien vermacht habe, falls lie ihn kirchlich begraben. Der Autor bekannte sich ausdrücklich zum Marienkult; es zeigt lieh im zweiten Teil dei Stückes. Als Räuber alle Beteiligten töten und getötet werden, prüft Jesus im Vorhimmel ihr Verhalten; da aber rät Maria zur Barmherzigkeit, indem lie darauf verweist, wie schwer es sei, Mensch zu sein. Witz, Satire, Narretei mischen sich da mit Naivität und echter Frömmigkeit.

In eine kleine New Yorker Synagoge führt die Legende „Der zehnte Mann“, des amerikanischen Auton Paddy Chayefiky, die im Berliner Theater aufgeführt wurde. Bei der versuchten Auitreibung einei Dybuki wird nicht das Mädchen geheilt, das man von solch einem Dämon beiessen wähnt, sondern ein junger Rechtsanwalt, ein Verneiner aller Werte. Glaube, das Wort weiteit gefaßt, liegt über nihilistische Lebensverneinung. Der menschliche Gehalt spricht an; die vorgeführten Gestalten wirken liebenswert; das Stück greift über den jüdischen Bereich hinaus ins Allgemeine.

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