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Dramatik der kranken Seelen

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O Neills Dramen beherrschen heute wieder den Broadway, '‘-J die Filmindustrie entdeckt seine Stficke; auf den europaischen, speziell den Wiener Biihnen, ist O’Neill haufig aufge- ffihrt worden, und der Biichermarkt spinnt auch an dieser breit- schichtigen O’Neill-Renaissance, nach deren Ursachen wir fragen miissen, denn fur das amerikanische Theater starb O’Neill schon zu Lebzeiten, und nicht erst 1953.

Brooks Atkinson, der Theaterkritiker der New York Tinies, gab folgende Erklarung: „Wir leben heute in einer introvertier- ten, kranken Periode, und O’Neill, der immer uber die ,Krank- heit der Seele' geschrieben hat, paBt dazu wie nie zuvor." Es ist richtig, daB O’Neill Dichter der Neurotiker, Dichter der kranken Seelen ist, es ist aber falsch, unsere Zeitgenossen, die ihre Zelte einmal in Italien, einmal in Spanien aufschlagen, von Kontinent zu Kontinent fliegen und sogar Weltraumreisen er- wagen, als nach innen gekehrt, als introvertiert zu bezeichnen. Vielleicht sind sie krank, an krankhafter Introversion leiden sie beileibe nicht. Nein, die O’Neill-Renaissance entspricht ganz dem Gesetz des gesunkenen Kulturgutes, demzufolge Jahre und Jahrzehnte vergehen miissen, bis neue Kulturwerte in breitere Schichtgn absinken. Das Neue, das um 1910 entstand, zu dem die Psychoanalyse, der Expressionismus, zu dem auch O’Neill gehort, dringt seit einigen Jahren ins BewuBtsein breiterer Schichten, wird dort mit FleiB aufgearbeitet und konserviert. Der Einsatz von Massenmedien bei dieser O’Neill-Renaissance be- weist die Richtigkeit dieser These; O’Neill gehort heute zur Schulbildung, steigt als Kulturwert ins Repertoire — das Museum des Theaters! O’Neill wirkt nicht mehr auf das Blut, O’Neill ist fiir das kiinstlerische Theater tot, genauso wie die Psychoanalyse fur die neuere Literatur tot ist.

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Die Freudsche Psychoanalyse und die Psychologic der Arche- typen C. G. Jungs waren O’Neills groBer Motiv-Fundus, aus dem er mit vollen Handen schbpfte und austeilte; diese analytischen Psychologien lieferten ihm das Interpretations- schema zu seinen alten Figuren, zu seinen alten Themen. In seiner groBen Trilogie „Trauer muB Elektra tragen" (deutsche Erstauffiihrung 1947 im Schauspielhaus Hamburg) fibertragt O’Neill den klassischen Elektra-Stoff in das Amerika des Bfirger- krieges und interpretiert die antike Fabel ganz im psycho- analytischen Sinne als Elektra-Komplex, also als Gegenstiick zum Odipus-Komplex. Das UnterbewuBte iibernimmt die Funk- tion des Schicksals, der Todestrieb, personifiziert durch die hafiliebevolle Elektra, die bei O’Neill Lavinia heifit, siegt fiber den Lebenstrieb Libido und jagt die Agamemnons, die hier Mannon heifien, in die totale Vernichtung. Es ist eine grund- satzliche Frage, ob man nach diesem Rezept (alter Stoff in neuer Deutung) Dichtung produziert. Das ist eine Frage, die man aber nicht nur bei O’Neill, sondern auch bei dem dramaturgisch wesentlich genialeren Bertolt Brecht stellen muB, der seine Stoffe nach einem kommunistisch-materialistischen Ideenschema deutet, das ist eine Frage, die mit Schillers Dichtungsschema aufbrach, in dem das Besondere und Allgemeine, das Reale und Ideale so getrennt wurden, daB Idee und Reales austauschbar wurden.

O’Neill simplifiziert durch die psychoanalytischen Kausal- schemata die Situation des modernen Menschen, die gewifi viel- schichtiger fundiert ist, als die analytischen Psychologien es sich traumen lassen. O’Neill gibt keinen Spiegel, keine Symptome unserer Zeit, er erklart viel zu rasch, weifi viel zu sicher von den Ursachen der Krankheit. Er ist in dieser Hinsicht ein ge- fahrlicher Simplifikator, denn nichts wirkt gefahrlicher als ein- fache, einleuchtende Schemata.

C treicht man von O’Neills Dramen den psychoanalytischen

Unter- und Uberbau, das theoretische Bildwerk, dann bleibt etwas, das durchaus artistisches Konnen und Poesie im alten Sinne aufweist, namlich grandios gezeichnete Menschen- geschopfe. Da steht fest vor uns ,,Kaiser Jones", ein breit- schultriger Vollblutneger, als Hauptfigur in dem gleichnamigen Urwaldstfick (dessen deutsche Erstauffiihrung 1924 im Lustspiel- haus ,,Die Truppe" in Berlin erfolgte). Der Zauber der Wildnis siegt bei Jones fiber seine westliche Zivilisation. Und neben diesem schwarzen Kaiser baut sich der schwere, russige Yank vor unseren Augen auf, der wild seine Heizerschaufel schwingt und den stahlernen Ozeanriesen antreibt. Dieser breitschultrige Bulle Yank, Sinnbild des antiillusionistischen Proletariers, ist Protagonist der Tragikomodie „Der haarige Affe" (deutsche Erstauffiihrung 1924 im Schauspielhaus Koln), und neben diese beiden Mannerkolosse stellt sich ein Riesenmadchen: Josie, das O’Neill charakterisiert: „Ihre abfallenden Schultern sind breit, ihr Busen tief, mit groBen festen Briisten, ihre Taille umfang- reich, aber schlank im Verhaltnis zu ihren Hfiften und Schen- keln... Dabei hat sie nichts Miinnliches an sich; sie ist durch und durch Frau.“ Josie verleiblicht reine jungfrauliche Liebe in dem autobiographischen Drama „Ein Mond fiir die Beladenen" (das im Wiener Akademietheater gespielt wurde). Josie verkorpert die ins Riesige vergroberte Frau, sie ist Anima, ja eine Magna Mater, ein Archetypus. Diesen fast mythischen Figuren: Yank, Josie, diesen Uber-Ichs, diesen Produkten der schweifenden Phantasie stehen Personen gegenfiber, die psycho- analytisch gesehen, die jeweiligen Real-Ichs verkorpern, im Faile Josies ist dies James Tyrone jr., ein verlebter Trunkenbold, den diese groBe kraftige Frau wie ein krankes Kind an ihrer Brust halt. Und der Konflikt zwischen dieser Josie und diesem James Tyrone ist die Auseinandersetzung eines Ichs mit seinem Uber- Ich, mit seinem Archetypus, ein ProzeB der Selbst-Entdeckung, Selbsteinigung, ist im Sinne C. G. Jungs eine Individuation und letztlich Manifestation eines Prozesses, den der Autor O’Neill durchmacht.

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O> Neills Stficke stecken immer wieder voll autobiographi- scher Einsprengsel; so spiegeln die Dramen ,.Unterm kari- bischen Mond" (deutsche Erstauffiihrung 1924 in der Berliner Volksbfihne), „Kaiser Jones", „Der haarige Affe" O’Neills Matrosen- und Trampzeit, so spiegelt das triste Schauspieler- stfick „Eines langen Tages Reise in die Nacht" (deutsche Erst- aufffihrung 1956 im Theater am Kurffirstendamm in Berlin) ganz eindeutig O’Neills eigenes Familienelend. O’Neill, der 18 88 geboren wurde, kiinstlerisch also zur Generation Picassos gehort, kommt ja aus einer Schauspielerfamilie, war kurze Zeit selbst Schauspieler und ffihrte als Vizedirektor die Truppe seines Vaters. Sein Privatleben war eine einzige Familientragodie: seine Mutter spritzte Morphium, sein Bruder wurde schwind- sfichtig, ein Sohn beging Selbstmord, ein anderer Sohn wurde rauschgiftsfichtig. O’Neills Leben war voll scharfer Gegensatze: einer harten Zeit als Goldgraber, als Matrose folgten Jahre der Krankheit, ein Ende im Rollstuhl. Ebensolche Gegensatze teilen O’Neills Stficke: harte Manner stehen auf der einen Seite, sensitive Kranke auf der anderen. O’Neills Werk ist sehr stark erlebnisgebunden, ist Bekenntnisdichtung, adressierte Kunst, die beiehren, informieren, mitteilen will, Kunst fiir alle jene, die im „Was“ ertrinken und das „Wie“ nicht spfiren.

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09 Neill war in der Hauptsache ein altmodischer Dichter und kein moderner Artist, kein Kfinstler, der im Experiment : neuen Formen, neuen Modellen nachspfirt, obwohl er mit zwei Versuchen, dem „Seltsamen Zwischenspiel" und dem Stfick „Der groBe Gott Brown" von sich reden machte. Im „Seltsamen Zwischenspiel" nfitzt er bewuBt das Beiseitesprechen, Beiseite- fliistern als Kommentationsverfahren, als doppelten Boden im Sprachlichen. Im „GroBen Gott Brown" setzen sich die Darsteller Masken auf, sobaid sie so sprechen, wie ,.man“ spricht, wie ..man" es zu horen wfinscht und glaubt. Sie nehmen die Masken ab, um so zu reden, wie sie wirklich sind, und zeigen uns jenes Gesicht, das wir der Welt nie zeigen, weil wir es durch unsere Persona, unsere Maske, verhiillen; nur konnen wir unsere Maske nicht abnehmen, was O’Neills Figuren ja vermbgen, denn unsere Maske sitzt unter der Haut, ist angewachsen. Die abhebbare Theatermaske vergrobert also, vereinfacht einen Sachverhalt, der in Wirklichkeit viel komplexer ist.

O’Neills Experiment mufite miBlingen, weil er die Theatermaske iiberforderte. Dieser MiBerfolg soli aber nicht das Ver- dienst uberschatten, das ja darin besteht, daB endlich wieder einmal ein ureigenstes Mittel des Theaters, die Maske, auf die Bfihne kam, dafi etwas gegen die „Verwortung“ des Theaters untemommen wurde. O’Neill, der einer Schauspielerfamilie ent- stammte und selbst als Schauspieler auftrat, war dazu pradesti- niert, gegen diese Literarisierung anzukampfen, die Mittel und die Techniken des Theaters wieder zu Geltung zu bringen. Man kann O’Neill den Vorwurf nicht ersparen, daB er viel zu un- ausgiebig davon Gebrauch machte, ja, dafi er die Verwortung des Theaters durch seine eigenen Dramen sogar forderte.

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Das Experimentieren gab O’Neill frfih auf und bediente sich in der Folge der herkommlichen aristotelischen Dramaturgic; so teilte er zum Beispiel seinen groBen Elektrastoff in Akte, die ihrerseits kausal subordiniert sind, wobei die Psychoanalyse die Kausalzusammenhange liefert. Das ist die geschlossene Dramenform, im Gegensatz zu der offenen, akausalen, epischen Dramengestalt, die ein Stuck in austauschbare Bilder und Situa- tionen gliedert. O’Neill fibernahm die offene Form von Strindberg und verwendete sie ziemlich unkonsequent in ,.Kaiser Jones”. Die offene Dramenform erlaubt die Demonstration symptomatischer, aber unzusammenhangender Situationen, zum Beispiel: Kaiser Jones’ Mordstationen. Die geschlossene Form dagegen zwang O’Neill, die Konflikte, die Probleme kausal und durch auBere Aktionen zu erklaren, was zu gefahrlichen Problem- vereinfachungen ffihrte. Es ist eine falsche Simplafikation, etwa die anonyme Existenz eines Proletariers durch Aktionen im Stile eines Intrigenstfickes darzustellen. In diese gefahrliche Nahe kommt O’Neill. Diesem Dilemma versuchte O’Neill durch das Enthiillungsverfahren zu entgehen, das er bei Ibsen kennen- lernte. Die Entlarvung als Methode ist das AuBerste, wozu die geschlossene Dramenform in Richtung Problemoffenheit fahig ist. Dabei schrumpfen aber die auBeren Aktionen immer mehr zusammen. die Szene, die O’Neill mit pedantischer Genauigkeit beschreibt, verliert ihre Funktion fur die Fabel, die Handlung geht nach innen, geht unter im Portrat der Charaktere, so daB ein Drama wie ..Eines langen Tages Reise in die Nacht" die Notwendigkeit verliert, auf der Bfihne aufgeffihrt zu werden: man kann es lesen. Das Lesedrama jedoch ist der Theatertod, dem der Dramatiker O’Neill schon zu Lebzeiten erlag.

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