Männerknochen für eine arme Hündin

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Im blutleeren Sprachrausch: "Klytaimnestra“ nach der "Orestrie“ des Aischylos am Grazer Schauspielhaus. Die Regie bleibt im Ansatz stecken, aber es gibt starke Momente. Nur Michael Köhlmeier nervt.

Es gibt offenbar zwei Möglichkeiten für das heutige Theater, mit antiken Stoffen umzugehen. Die eine zielt geradewegs ins Heute und lässt Distanzen im Handumdrehen schrumpfen, als gäbe es nichts dazwischen, weder Zeit noch Geschichte, weder einen leeren Götterhimmel noch gesellschaftlichen Wandel. Was damals also galt, gilt immer noch. Rasch sind Aischylos’, Euripides’ oder Sophokles’ Tragödien in einen modernen, meist trashigen Mantel gehüllt, auch Sprache und Milieu müssen von heute sein - und schon heißt es: "Schaut her, da läuft sie, die geile Antike!“

Keine falsche Aktualität

Die andere Möglichkeit ist schwieriger. Sie meidet falsche Nähe, stattdessen sucht sie nach fernen Hohlräumen und abartig Fremdem. Sie will schmerzen und hellrütteln und folgt darin Nietzsches Glauben an die griechische Tragödie, dem Zuschauer den innersten Abgrund der Dinge vernehmlich zu machen. Diese Vernehmlichkeiten aber sind rar im Theateralltag. Meist bleiben sie an einer blutigen und rohen Oberfläche hängen und reizen nur kurz mit archaischen und barbarischen Abgründen.

Mit zwei Tragödien, "Medea“ und "Antigone“, hat die Grazer Schauspielhausintendantin Anna Badora bereits gezeigt, dass sie den schnellen Weg mit der Antike ins heutige Theater meidet. Sie will es sich und den Zuschauern nicht leicht machen, so auch nicht mit ihrer neuen Inszenierung "Klytaimnestra“ nach der "Ores-tie“ des Aischylos. Doch wie weit ist sie damit gekommen?

Die "Orestie“ (458 v. Chr.) ist die erste vollständig überlieferte Trilogie der abendländischen Kultur und hat das, was man gemeinhin als Familiengeschichte bezeichnet, zum Inhalt. Der Trojanische Krieg ist zu Ende, doch in der eigenen Familie wird er fortgesetzt: Der siegreiche Agamemnon, der einst seine eigene Tochter Iphigenie für guten Wind nach Troja opferte, wird von seiner Gattin Klytaimnestra und deren Liebhaber Ägist erschlagen. Agamemnons Sohn Orest rächt diesen Tod und ermordet auf ähnlich grausame Weise seine Mutter und deren Geliebten. Verfolgt von den Rachegeistern seiner Mutter, den Erinyen, spricht ihn jedoch ein eigens für ihn eingesetztes ewiges Weltgericht unter dem Vorsitz von Pallas Athene und Apollon frei. Ein entscheidender Moment in der Menschheitsgeschichte: der von Rache und göttlicher Willkür befreite Mensch atmet auf. Aber bis dorthin will Anna Badora nicht kommen. Sie bleibt bei Klytaimnestra stehen, will diese Frauenfigur von innen aufbrechen, auch wenn sie nach außen wie immer erscheinen darf: als rachsüchtige und hinterhältige Mörderin. Den innersten Abgrund der Seele Klytaimnestras vernehmlich machen, das will dieser Abend, dessen didaktischer Inszenierungseros vor allem mit männlicher Diskurshoheit brechen will. Es ist seltsam, denn gerade diese wird er am schwersten los: Vor allem dann, wenn der Mythenvater Michael Köhlmeier - eingespielt per Videoaufzeichnung - aus Klytaimnestras (Vor-)Leben erzählt, von jenen vertrackten Ereignissen, denen sie zum Opfer fiel. Das stört, denn sein riesenhaftes Angesicht hat mit der Inszenierung nichts zu tun.

Sauberes Schlachtfeld

In den Tiefen aber gibt es starke Momente: Verborgen hinter einer gewaltigen Betontüre (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) tobt Klytaimnestras (Innen-)Leben. Wie ein Schneckenhaus zieht sich die Bühne empor und gibt fantastische Lichträume (Paul Grilj) frei. Viele Schauspieler brennen sich ins Gedächtnis: Steffi Krautz als Klytaimnestra, die es vernarbt durchs Leben schleudert. Was sie auch tut, alles addiert sich mit der Zeit zu seelischen Katastrophen. Auf ihrer Zunge liegt die bittere Empfindung, nie so geliebt worden zu sein wie ihre schöne Halbschwester Helena. Man schmeckt die Eifersucht, wie eine Dunstglocke senkt sie sich auch auf ihre zwischen Leichensäcken spielenden Kinder. An ihrer Seite Stefan Suske als gelangweilter Alphakerl Agamemnon. Auch die alte Hekabe (Martina Krauel) hinterlässt Spuren, die als einzige Frau Stärke und Selbstachtung besitzt, und dann noch diese rasende Elektra (Pia Luise Händler), die einem den Atem nimmt, als tollkühne Anstifterin. Jan Thümer (fabelhaft), als tölpelhafter Liebhaber Ägist auf wackeligen Beinen, tut alles, um auf seiner Geliebten nur ja keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Später lächelt er souverän als Apollon die rächenden Erinyen nieder.

Der Abend hinterlässt nach drei Stunden ein sauberes Schlachtfeld, über dem ein (Video-)Himmel empordämmert: Klytaimnestra fragt Köhlmeier nach Helena. Bildungsbeflissen erzählt er ihr, dass ihr nichts geschehen sei. Sie sei eben eine wirklich wilde Hündin gewesen. Hätten wir jetzt alle mitwinseln sollen?

Klytaimnestra

Schauspielhaus Graz

nächste Termine: 23., 24. März, 3., 4., 12., 17. April

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