Ja genau - jede Menge heiße Luft

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René Polleschs neuester Streich "Die Liebe zum Nochniedagewesenen“, am Akademietheater uraufgeführt, lässt auch Wohlmeinende ratlos zurück.

Der 1962 geborene Hesse René Pollesch ist ein überaus produktiver Theaterautor - Dramatiker wäre zu viel gesagt, denn sein Theater verweigert sich den klassischen Mechanismen - und sein eigener Regisseur. Seit 2004 ist er in regelmäßigen Abständen auch Gast in Wien. Nach "Hallo Hotel …!“, "Häuser gegen Etuis“, "Das purpurne Muttermal“, das als bestes Stück mit dem Nestroy 2007 ausgezeichnet wurde, "Fantasma“ und "Peking-Opel“ heißt seine sechste Arbeit für das Wiener Burgtheater "Die Liebe zum Nochniedagewesenen“.

Philosophischer Überbau

Wieder hat der Titel wenig mit dem zu tun, was dann wirklich zu sehen und zu hören ist und würde sich auch nicht so einfach daraus erschließen lassen, und wieder hat Pollesch eine unübersichtliche Menge Film, Musik, Literatur und Philosophie geplündert und zu einem Texttheater ohne eigentliche Handlung amalgamiert, das (diesmal nur gelegentlich erheiternd) Bedeutung und Sinn vermitteln will. Diesmal stand vor allem Woody Allens Jazzfilm "Sweet and Lowdown“ aus dem Jahre 1999 Pate. Darin geht es um die amerikanische Gitarrenlegende Emmet Ray, seine Bewunderung für Django Reinhardt und die unglücklichen Lieben zu einem stummen Mädchen namens Hetty und der Journalistin Blanche.

Aber diesmal ist die Mühe vergeblich, sich auf den Film, dem Pollesch die Figurennamen und so manch schönen Satz entlehnt hat, sowie den philosophischen Überbau der Text-Leihgeber (unter anderen wieder einmal Giorgio Agamben, Friedrich Nietzsche und Jean-Luc Nancy) einen Reim machen zu wollen. Den bringt der ganze 90-minütige Nonsens-Abend beim besten Willen nicht, denn Pollesch "argumentiert“ wie so oft eher assoziativ als präzise.

Auf der von Bert Neumann eingerichteten Bühne ist zunächst eine stürmische See zu beobachten, auf der verloren ein kleines Rettungsboot gegen die Wogen ankämpft. Darin sitzt die gediegene Fassbinder-Schauspielerin Margit Carstensen alias Hetty und schimpft: "Alle reden vom Untergang und ich bin umgeben von den Resten einer Katastrophe, aber ich komme immer noch nicht an das Tragische heran.“ "Ja genau“, sagt Emmet (Martin Wuttke) dazu, wie überhaupt dieses "Ja genau“ der am häufigsten gesagte Satz des Abends ist, weil er so etwas wie Kausalität suggeriert. Da aber Kohärenz Polleschs Textmontage gar nicht anstrebt, bleibt dieser Exkurs zum Tragischen ebenso unbelichtet wie das anschließende Geschwafel über Krise, Kunst und Liebe. Obwohl sich die "Handlung“ fast ausschließlich auf die Textebene beschränkt, kraxeln die vier in Overalls mit gelben Gürteln, Fuchsschwänzen und überdimensionalen Karabinerhaken gewandeten Figuren über einen riesigen gelben, luftbefüllten Kunststoffknoten. Verfolgt werden sie dabei von der wackeren Souffleuse, Sibylle Fuchs, und den für Polleschs Theater unverzichtbaren Kameraleuten, die die Anstrengung der Kletterei und der gleichzeitigen Bedeutungshuberei in Bildern festhalten, ohne dass dabei die Suada, ob denn Liebe, Emotion und Gefühl heute noch möglich seien, durch die Vergrößerung verständlicher würde. Sonst darf Wuttke im hautengen Einteiler mit Kuhmuster noch Debussys "L’après-midi d’un faune“ tanzen und Catrin Striebeck als Blanche das Innere der gelben Monster-Wurst erforschen, das, wie man schnell weiß, aus nichts als heißer Luft besteht.

Zitate, Andeutungen, Verweise

Seit jeher sind die Meinungen über Polleschs hermetisches Diskurstheater gespalten. Es gibt glühende Anhänger, die Lust haben, hinter den Materialverweisen und postmodernen Paraphrasen den jeweiligen diskursiven Zusammenhang zu erraten, andere lehnen Polleschs Stücke ganz einfach ab. Zugegeben, Pollesch macht es einem mit der "Liebe zum Nochniedagewesenen“ nicht leicht, denn trotz der Anstrengung vermag der Kritiker diesmal die Diskrepanz zwischen den (möglicherweise) gemeinten Diskursen und dem sichtbaren Werk nicht zu schließen. Seine postdramatische Diskurszentrifuge läuft bei dieser Produktion auf referenziell solch hohen Touren, dass einmal die Frage erlaubt sein soll, ob es sich lohnt, ihm überhaupt in dieses verflochtene Reich der Zitate, Andeutungen und Verweise zu folgen.

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