Liebestod mit Zizek und Houellebecq

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Der Schauspieler und Gelegenheitsregisseur Martin Wuttke hat ein Stück geschrieben und es im Kasino des Wiener Burgtheaters auch selbst inszeniert: "Nach der Oper. Würgeengel“. Als eine masochistische Komödie nach Luis Buñuel wird das Ganze angekündigt. Von der Komödie merkt man nicht viel. Das mit dem Masochismus kommt der Sache schon näher.

Eigentlich wäre ja Luis Buñuels Film "El ángel exterminador“ aus dem Jahre 1962 eine ideale Vorlage für das Theater. Denn der Film spielt zu einem großen Teil in der Villa des Ehepaares Nóbile, in der die Besucher, meist Angehörige der bourgeoisen Elite, sich nach einem Opernbesuch zusammenfinden, und die sie aus unerklärlichen Gründen für eine unbestimmte Zeit nicht mehr verlassen können.

Rätselhafte Handlungen

Die Grundsituation der Eingeschlossenen wäre, so möchte man meinen, eine Steilvorlage für das Theater. Aber sowohl der Autor (gemeinsam mit Anna Heesen) wie der Regisseur Martin Wuttke wissen daraus nicht viel zu machen. Oder vielleicht wollen sie auch zu viel? Auf der von riesigen Paravents gerahmten, üppigen wie recht unübersichtlichen Couchlandschaft mit einer langen Tafel im Hintergrund (Bühne: Nina von Mechow) räkelt sich eine 18-köpfige Abendgesellschaft, bestehend aus erlesenen Schauspielern des Burgtheaters. Wie Traumgestalten erscheinen sie auch in den Videoprojektionen, die über die riesigen, seitlich stehenden Paravents flimmern.

Man sieht sie in rätselhafte Handlungen verstrickt, mit blutigen Körpern, erschreckten Gesichtern oder als Landschaft von ineinander verkeilten Menschenkörpern. Im Verlauf der drei pausenlosen Stunden wird angesichts des unbegreiflichen nicht-weg-Könnens geliebt, gehasst, gestorben und natürlich viel geredet, wobei Wuttke - und da ist die Zusammenarbeit mit René Pollesch überdeutlich spürbar - das Stück bleischwer mit theoretischen Texten von Jean-Luc Nancy, Maurice Blanchot, Slavoj Zizek, Michel Houellebecq und anderen anreichert, ohne dass bei dieser Bedeutungshuberei Erkenntnisgewinn möglich ist. Im Verlaufe des Abends erinnert die Gruppe zusehends an erschöpfte und seelisch angeschlagene Schiffbrüchige kurz vor dem definitiven Untergang. Erstaunlich ist, dass Wuttke wenige Situationen schafft, die es den Figuren erlauben würden, wirklich miteinander zu agieren. Die Szene ist eher wie ein Wimmelbilderbuch, in der man denjenigen suchen muss, der gerade das Wort hat.

Dass Wuttke darauf verzichtet - wie es der der europäischen Linken zugehörige Buñuel gemacht hat - die herrschende Klasse, die Stützen der Gesellschaft einer Vivisektion zu unterziehen, ihre Verstrickungen in den Faschismus und die Fehlentwicklungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit ihrem moralischen Verfall aufzuzeigen, ist ihm nicht vorzuwerfen. Nur was setzt er an dessen Stelle? Wie er in einem Interview sagte, hat ihn der Zusammenhang zwischen dieser Gesellschaft und der Erregung durch die Oper interessiert. Demnach ist auch zu verstehen, dass das Zitat aus dem Stück "alle haben zu bleiben, bis der letzte Ton verklungen ist“ hier Programm ist. Denn an die Stelle der Verfallgeschichte der Bourgeoisie setzt der Autor Wuttke auf die Erörterung des Mythos’ und auf die Oper. Beinahe ein Drittel des dreistündigen Abends lauschen wir dem dritten Aufzug von Richard Wagners "Tristan und Isolde“ sowie Arnold Schönbergs "Erwartung“. Und das ist noch das Beste. Denn neben dem Orchester der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien unter der famosen Leitung von Arno Waschk können vor allem Hege Gustava Tjønn als Isolde und Martin Mairinger als Tristan überzeugen.

Ekstatische Selbstauslöschung

Wuttkes philosophische Hauptfrage scheint die nach der Liebe und deren Verarbeitung in der Oper zu sein. Er stiftet einen Zusammenhang von Liebe und Todessehnsucht, wie er es bei Wagner liest, bei dessen "Tristan“ Eros und Thanatos, Lust und Tod besonders eng verzahnt sind. Hier erweist sich Wuttke als eifriger Leser des global operierenden slowenischen Philosophie-Entertainers Slavoj Zizek und dessen Opernbuchs "Der zweite Tod der Oper“, aus dem er häufig Passagen zitiert. Umständlich stellt er die Frage, wie sich die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft für den Einzelnen gestaltet, und wie der kreatürliche Tod des Einzelnen Sinn bekommen soll. Und mit Wagners "Tristan“ wird der Liebestod, der gemeinsame Tod von Liebenden, als die höchste Form der Liebe gefeiert, als Akt radikaler Überschreitung, der alle gesellschaftlich-symbolischen Verbindungen suspendiert und als solcher in der ekstatischen Selbstauslöschung kulminiert. Nicht unbedingt ein Stoff fürs Theater, schon gar nicht für eine Komödie. Für Masochisten dagegen schon eher.

weitere Termine

7., 9., 12., 14. März

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