Karl May - der Engel mit dem Skalpmesser

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Er hat nicht nur Winnetou und Kara Ben Nemsi erschaffen, sondern in Wien gemeinsam mit Bertha von Suttner die Schaffung eines "Edelmenschen“ gefordert - Karl Mays letzte Rede.

Was wohl dem Jungen aus dem sächsischen Ort Ernstthal im Kreis Zwickau in die Wiege gelegt war? Ein goldener Löffel war es jedenfalls nicht, den der kleine Karl May 1842 auf den Lebensweg mitbekam. Der Sohn armer Webersleute und verkrachte Lehramtsstudent geriet bald in Versuchung, sich Dinge zu nehmen, die ihm nicht gehörten, schlug sich mit Gelegenheitsdiebstählen, Betrügereien und Hochstapeleien durch. Erst mit 32 Jahren, nach einigen Zuchthausstrafen, konnte er ungehemmt seiner Leidenschaft frönen - dem Schreiben!

In der Enge seiner Zellen hatten ihn Anstaltsbibliotheken und geistlicher Zuspruch eines Katecheten in Welten von Weite, aber auch frommer Güte entführt. Der junge Mann war es gewöhnt, geistig in ferne Länder, in die Freiheit, abzutauchen, ohne seine - vorerst erzwungene - "Stabilitas Loci“ aufzugeben. Auswanderertagebücher, Reisebeschreibungen und Landkarten reichten ihm völlig aus, um den Orient, die USA oder Mexiko beschreiben zu können; und das bisweilen so detailliert, als hätte er sie wirklich bereist, was er tatsächlich erst gegen Ende seines Leben tat.

Waren es zunächst Fortsetzungsromane für ein halbes Dutzend Zeitschriften, die im Kolportagestil langwierige Abenteuer wiedergaben, aus denen nicht selten literweise Blut quoll, so schrieb sich Karl May nach und nach zur Edelfeder empor, schuf den Gentleman Häuptling Winnetou, und ließ Indianer, Orientalen und Schwarze gegen die Knechtung ihrer Völker kämpfen. Nicht in den stolz akklamierten deutschen Kolonien spielten diese Geschichten, sondern in Ländern, deren Menschen auf dem Weg zur Freiheit waren - und zum Frieden!

Der Traum vom Frieden

Als er längst zum Bestsellerautor geworden war, sprach und schrieb May Klartext: Im Roman "Frieden auf Erden“ erteilte er knapp nach der Jahrhundertwende dem Kolonialismus eine scharfe Absage - seine Auftraggeber, die eine Ode an die heldenhafte Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes durch die europäische Allianz in China bestellt hatten, waren düpiert, getrauten sich aber nicht, das Werk des Meisters nicht zu drucken.

Dabei war May schon zu Lebzeiten alles andere als unumstritten.

Die Einladung nach Wien wurde im Sog einer Kampagne zur Ehrenrettung des Dichters ausgesprochen. Denn mit den Jahren sickerte immer mehr durch, dass er all die Abenteuer nicht erlebt, die Heldentaten nie vollbracht hatte, die er seinen Alter Egos wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi zumaß. Neben Ernüchterung bei vielen Fans brachte das vor allem auch Verleumdungsklagen, Gegenklagen, Klagen um Urheberrechte sonder Zahl.

Vor großem Publikum

Und in dieser Situation entschlossen sich die Wiener Karl May-Fans, die ihm eisern die Stange hielten, ihr Idol in die Reichshaupt- und Residenzstadt einzuladen, um ihn öffentlich zu einem großen Publikum sprechen zu lassen - was er in dieser Form noch nie getan hatte!

Der Schriftsteller Robert Müller und sein "Akademischer Verband für Literatur und Musik“ zeichneten verantwortlich, dass der 70-jährige May am 22. März 1912 in den Wiener Sofiensälen in seinem Vortrag "Empor ins Reich der Edelmenschen“ seine hochmoralischen Fantasien vom Friedensreich "Dschinnistan“ entwickeln konnte, das die Niederungen der Welt des obwaltenden "Ardistan“ ablösen sollte. "May meinte, was er sagte! Es hätte sich damals niemand im Saal gefunden, der ihm hier eine Schwindelei unterstellt hätte“, erinnerte sich noch 1986 im Gespräch mit dem Radiojournalisten Hans Langsteiner der 89 Jahre alte Franz v. Cornaro, der 1912 im Publikum gesessen ist.

Neben vorwiegend jugendlichem Publikum (angeblich soll nach einer vagen Legende auch Hitler darunter gewesen sein) saß unter den Zwei- bis Dreitausend die Friedenaktivistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner, eine überzeugte Anhängerin Karl Mays. "Sie brauchte ihn sicher auch, um ihre Ideen populär zu machen“, meint Cornaro, "und hat ihn gebeten, aus ihrem damals neuen Buch zu zitieren: ‚Der Menschheit Hochgedanken‘ - was er auch getan hat.“ Es war die Veredelung der Allianz May-Suttner, die ein rasches Ende fand. Der Asthmatiker May hatte sich in Wien erkältet und starb im heimatlichen Radebeul am 30. März 1912.

"Ich bin selbst immer kindlich geblieben. Aber ich bin gut damit zurechtgekommen“, sagte einst mit 89 May-Fan Franz v. Cornaro. Eigentlich ein schönes Schlusswort für eine Würdigung Karl Mays.

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