Wenn Kultur männlich gedacht wird wie der Krieg

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Bertha von Suttner, deren Todestag sich am 21. Juni zum 100. Mal jährt, prangerte 1889 in "Das Maschinenalter" Missstände der Zeit und die Probleme des Militarismus an. Im selben Jahr erschien auch "Die Waffen nieder!".

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Bertha von Suttner, deren Todestag sich am 21. Juni zum 100. Mal jährt, prangerte 1889 in "Das Maschinenalter" Missstände der Zeit und die Probleme des Militarismus an. Im selben Jahr erschien auch "Die Waffen nieder!".

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Die einzige Tatsache, daß der Mann die ganze Kultur geschaffen hat, die geistige wie die materielle, zeigt ja seine Stellung als der Überlegene, und diese Stellung kann ihm nur von Schwachsinnigen geraubt werden, die an Rosa Bonheur's mittelmäßige Bilder, George Sand's Emanzipationsromane und Bertha von Suttner's Usurpierung der Friedenssache, die sie nicht entdeckt hat, appellieren." So ist in August Strindbergs Nachruf auf Otto Weininger zu lesen, den Karl Kraus mit dem Titel "Idolatrie, Gynolatrie" in der Fackel vom 17. Oktober 1903 abdruckt.

Frauen waren freilich die Hände vielfach gebunden, an der Schaffung der geistigen wie materiellen Kultur mitzuwirken - allen voran durch die gesetzlichen Regelwerke, die das Rückgrat der "ganzen Kultur" bilden. Frauen entbehren nicht nur - bis heute - der Männerkarrieren fördernden homosozialen Mechanismen, sie besaßen weder das aktive noch das passive Wahlrecht, ihnen war schon die bloße Mitgliedschaft in politischen Parteien verboten. Für Bertha von Suttner war die einzig mögliche Organisationsform bei Gründung der österreichischen Friedensgesellschaft 1891 der überparteiliche, humanitäre Verein, der zwangsweise wenig direkte politische Einflussmöglichkeiten hatte.

1889 erschien ihr bis heute bekannter Roman "Die Waffen nieder!" Er wurde eine Art Manifest der Friedensbewegung, von 1892 bis 1899 auch Titel ihrer Monatszeitschrift, und das Markenzeichen Suttners, was fatal war und ist. Denn der Roman ist - zusammen mit dem Folgeband "Marthas Kinder"(1903) - nur die populäre Fassung ihrer politischen Theorien in Form einer Familiensaga.

Gesellschaftsanalyse

Doch 1889 veröffentlichte Suttner auch eine aus utopischer Perspektive geschriebene "Momentphotographie" der gesellschaftlichen Befindlichkeit in den Jahren 1885/86 mit dem Titel "Das Maschinenalter" - ab der zweiten Auflage 1890 "Das Maschinenzeitalter". Diese umfangreiche soziologische Gesellschaftsanalyse mit dem Untertitel "Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit" erschien unter dem Pseudonym "Jemand"."Wenn ich diesmal anonym vor das Publikum trete", so Suttner im Vorwort der ersten Auflage, "so geschieht es, weil mein Name, wenn genannt, gerade solche Kreise meinem Buche verschließen könnte, für die es hauptsächlich bestimmt ist." Das hervorgehobene "diesmal" gibt zu verstehen, dass es sich um einen routinierten Schreiber handelt, "gerade solche Kreise" meint alle Männer. Assoziiert wurde damals aber spontan wohl etwas anderes, anonyme Publikationen adeliger Verfasser hatten Tradition. Rudolf von Habsburg und Carl Menger publizierten 1878 unter dem Pseudonym "Von einem Oesterreicher" ihren "Mahnruf" "Der Oesterreichische Adel und sein constitutioneller Beruf". Auch Marie von Ebner-Eschenbachs Debüt war 1858 die anonym erschienene Adelsschelte "Aus Franzensbad".

Suttners Präsentationsform ist originell: Ein Professor hält einem Publikum der fernen Zukunft Vorlesungen über jene graue Vorzeit um 1880, als die Menschheit die Maschinen entdeckte wie einst in der Steinzeit die ersten Werkzeuge. Deshalb vermuteten die Zeitgenossen auch diverse Universitätsprofessoren hinter dem Pseudonym und rühmten das Buch als "wissenschaftliche Tat", der Autor sei einer der "kühnsten, geistreichsten und überlegensten Vorwärtsdenker" der Zeit.

Im Vorwort zur zweiten Auflage berichtet Suttner vom Dementi Max Nordaus im Berliner Tageblatt gegen die wiederholt geäußerte Vermutung, er sei der Autor des Essays und hält die Anonymität aufrecht: Bei der dritten Auflage 1898 war das Pseudonym dann geknackt und Suttner resümiert zufrieden: Das Buch "ist von Leuten gelesen und ernst genommen worden, die dem von einer Frau über solchen Gegenstand verfaßten Buch keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hätten". Für die Frauenfrage zeige diese Rezeption, "daß es keine spezifische weibliche Art zu schreiben und zu denken giebt, denn keiner unter den Kritikern hat das Geschlecht des ,Jemand' erraten."

Im "Maschinenzeitalter" prangert Suttner viele Missstände der Zeit an, ganz zentral aber den Militarismus, den sie oft an Problemen festmacht, die den männlichen Zeitgenossen gar nicht als solche bewusst waren. So beschreibt sie etwa die Art, "wie die damalige Geschichtskunde das Altertum auffaßte", sie bestand ausschließlich aus "glorifizierenden Erzählungen von Herrscherthaten". Damit zeigte sie "noch ganz deutlich ihren Ursprung: die um das Lagerfeuer der Wilden gemachten Erzählungen von den Jagd- und Kriegserfolgen des Häuptlings, der Geist blieb derselbe, in den Schulen des neunzehnten Jahrhunderts wurden die wilden Lagerfeuergeschichten weiter erzählt." Diese "auffällige Verherrlichung der Barbarei" führte zur Wiedererweckung "des durch die Kultur schon abgeschwächten, aber im Kinde noch immer schlummernden Grausamkeitstrieb" und bereitete so den Boden für Kriegsbegeisterung und patriotischem Stolz. Während Ehrenbeleidigung "im gewöhnlichen Umgang gebildeter Leute nicht vorzukommen pflegte" oder einklagbar war, blieb sie im Verkehr der Völker üblich, direkt durch Verunglimpfung oder indirekt, "indem man alle Tugenden für seine Landsleute in Beschlag nahm" - und das Ganze Patriotismus nannte.

Karl Kraus gegen Suttner

"Die Frauen sind die besten, mit denen man am wenigsten spricht." So lautet ein Aphorismus in jenem Fackel-Heft, in dem Kraus 1906 Suttner als Schriftstellerin zu demontieren versucht, nachdem sie im vierten Jahr seiner Vergabe den Friedensnobelpreis doch noch erhalten hat, dessen Stiftung durch Alfred Nobel auf ihre Anregung zurückging. 1904 hatte Kraus unter dem Titel "Friedensfreund" noch gehöhnt, dass es mit dem Nobelpreis "an die Baronin Suttner" wieder nichts geworden sei. Jetzt hat sie ihn eben doch bekommen und das kränkt nun ihn. Damit ist sie gleichsam in die Alice Schalek-Kategorie gerutscht, also eine jener Frauen, die ihn zwingen, sie nicht zu übersehen, und das nimmt er ihnen übel. Deshalb will er "doch einmal zeigen, eine wie bedeutende Schriftstellerin die Dame ist, die seit Jahren Europa rebellisch macht, indem sie sich mit allen Mächten auf Friedensfuß stellt." Er nimmt ihr in der Neuen Freien Presse erschienenes Feuilleton über einen Besuch in Monaco, um seine Leser "rasch über das geistige Niveau der Dame" zu unterrichten.

Liest man den Text und seine Demontage, wird vor allem deutlich, dass Kraus Suttners Ironiesignale nicht zu lesen vermag. Wenn sie über den offensichtlich reichlich eitlen Operndirektor vor Ort schreibt, "er erzählte mir noch so manches von seinen Taten und Siegen", dann liest Kraus das als verfehlte Bildsprache, weil es sich "natürlich nicht auf einen Feldherrn, sondern noch immer" auf den Operndirektor bezieht. Dass Jules Massenet und Camille Saint-Saëns für diese Oper eigene Kompositionen schufen, die hier uraufgeführt wurden, kann man nur bei Suttner nachlesen, ebenso wie das Faktum, dass das Fürstentum die Flugexperimente Maurice Légers finanzierte, dessen "Schraubenflieger", also Hubschrauber, von hier aus erstmals senkrecht in die Luft abhob.

Dass Suttners Besuch dem Fürsten von Monaco gilt, der sie zum Lunch mit König Oskar II. von Schweden lädt, darin liegt der zweite Stachel, den Kraus in seinen Attacken immer wieder aufgreift: Suttners adelige Herkunft öffnete ihr Zugang zu Kreisen, die Kraus verschlossen blieben. "Als eine 'starkgeistige' Frau wird uns die Bertha v. Suttner von der liberalen Presse überliefert", schreibt Kraus ein Jahr später, "selbst Ibsen soll auf sie hereingefallen sein. Ehre sei Gott in der Höhe, wenn er uns vor den starkgeistigen Frauen schützt! Aber wenn schon Friede den Menschen auf Erden sein soll, so werde er ihnen nicht durch die dümmsten Feuilletons gestört."

Friedensaktivistin

Manche Feuilletons hätten die Herren vielleicht doch lesen sollen. Wer im Krieg "eine naturgewollte Form des Daseinkampfes" sieht, hat noch nicht bemerkt, dass heute "das widernatürliche Element des maschinengeführten Schlachtkrieges die Entscheidung" bestimmt; jede Nation kann siegen, falls "zufällig dort der Elektrotechniker geboren wird", der seine Erfindung "seinem Kriegsherrn in patriotischer Ergebenheit zur Verfügung stellt". Das schrieb Suttner 1896, fast zwanzig Jahre vor Ausbruch des Weltkriegs. Als der dann da war, bemerkten das nach und nach auch die Männer. Was "die Eingebung eines Chemikers ... mit der Tapferkeit zu tun haben soll und wie der Schlachtenruhm sich einer chlorreichen Offensive verdanken kann", fragt sich in Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" der Nörgler als Alter Ego des Autors.

Der dritte Stachel ist Kraus' Vermutung, die "liberale Presse", die seine Existenz so schnöde verschwieg, stehe hinter ihr. Das ist allerdings stark zu relativieren. Als ihr die Neue Freie Presse am 3. September 1891 vor dem dritten Friedenskongress in Rom, bei dem sie auch erstmals als Rednerin auftrat, einen Platz auf der Titelseite einräumte, ging das nicht ohne eine distanzierende Anmerkung und unter Berufung auf das "falsche", das populäre, nicht das soziologische Werk: "Vielen Lesern werden ... die vorliegenden Ausführungen zu idealistisch" erscheinen, aber im Namen der Friedensfreunde zu sprechen, sei in Österreich wohl niemand "mehr berufen, als die Verfasserin von ,Die Waffen nieder!', und wir haben ihr darum gern den Raum unseres Blattes ... zur Verfügung gestellt."

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