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DER RUF NACH DEM FRIEDEN

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Als Komtesse Kinsky von Chinic und Tettau kam sie im Jahre 1843 in Prag zur Welt, wuchs also im Kreise eines bevorzugten Standes auf und erfuhr jene Erziehung, wie sie im österreichischen Hochadel durch vielerlei Traditionen gegeben war. Das aufgeweckte junge Mädchen indes zeigte wenig Verständnis für die Absichten ihrer Erzieher, sondern wandte sehr bald sein ganzes Interesse den Werken der Dichter und Philosophen zu, deren Ideen und Gedanken die junge Bertha bewunderte und die für ihre weitere innere Entwicklung entscheidende Bedeutung gewannen. Auf Reisen, die Komtesse Kinsky mit ihrer Mutter in die mondänen Kurorte Deutschlands, nach Paris und nach Venedig unternahm, sammelte sie Erfahrungen und Erkenntnisse, die später in ihrem Wirken als Dichterin und unermüdliche Verfechterin pazifistischer Ziele ihren Niederschlag fanden.

Der große Börsenkrach des Jahres 1873, dem auch das Vermögen der gräflichen Familie zum Opfer fiel, zwang das nunmehr erwachsene Mädchen, eigene Wege zu gehen, und sie nahm die Stelle einer Gouvernante dm Hause der Frei-herrn von Suttner an, wo ihr die Erziehung der vier Töchter anvertraut wurde. Drei Jahre verbraohte Komtesse Kinsky im Hause Suttner. Sie zählten zu den interessantesten und reichsten Jahren ihrer Jugend. Während dieser Zeit faßte sie eine tiefe Zuneigung zum jüngsten Sohn der Familie, Arthur Gundaccar von Suttner, der allerdings um sieben Jahre jünger war als die Gouvernante seiner Schwestern. Die Eltern setzten einer ehelichen Verbindung ihres Sohnes mit der verarmten böhmischen Aristokratin erbitterten Widerstand entgegen. Darum ließ sich das Paar 1876 in der Gumpendorf er Kirche in Wien heimlich trauen.

Kurz darauf folgten die jungen Leute — vielleicht um sich dem Zorn der Eltern und den Anfeindungen aufgebrachter Adelskreise zu entziehen — der Einladung einer fürstlichen Freundin und reisten in den Kaukasus ab. Zehn Jahre blieb das Paar in dieser anfänglich fremden Umwelt, und während dieser Zeitspanne entfaltete sich die literarische Veranlagung der nunmehr gereiften Frau. 1883 schrieb Bertha von Suttner ihr erstes Werk „Inventarium der Seele“, in dem sie sich mit ihren Ansichten „über Natur und Leben, über Wissenschaft und Politik“ auseinandersetzte. Schon in diesem Manuskript dokumentierte sich die intensive Beschäftigung der Autorin mit den Problemen des Dauerfriedens der Welt. Ihrem nächsten Buch gab Bertha von Suttner den Titel „Das Masehinenzedtalter“, und nichts zeigt die damals inferiore soziale Stellung des weiblichen Geschlechtes sinnfälliger als die Tatsache, daß sich die Schriftstellerin hinter der umschreibenden Bezeichnung „Jemand“ verbarg, denn „... es herrscht soviel Vorurteil gegen die Denkfähigkeit der Frauen, daß ein mit einem Frauennamen gezeichnetes Buch... ungelesen geblieben wäre...“

Bertha von Suttners größter literarischer Erfolg aber war das aufsehenerregende Buch „Die Waffen nieder!“. Bis zu dieser Zeit galten Kriege als eine in der Struktur und dem

Lauf der Welt gewollte Ordnung, doch hier ging eine Frau unerschrocken und entschlossen daran, diese zynische Doktrin zu widerlegen und zu behaupten, daß Kriege, gleichgültig welcher Ursache, als „ungewollte Unordnung“ zu brandmarken wären. Bertha von Suttner rechnete mit jenem ominösen Fatalismus ab, der die Menschheit bei ihren Betrachtungen und Urteilen über die Unabänderlichkeit und Selbstverständlichkeit eines Krieges gefangenhielt. Tradition, Gewohnheit und Denkfaulheit geißelte sie mit den unwiderlegbaren Argumenten ihrer pazifistischen Stellungnahme. Die Auflagenziffer des Romanes „Die Waffen nieder!“ — er erschien übrigens vor 74 Jahren — erreichte mehrere Hunderttausend, und das Buch wurde in nicht weniger als 16 Sprachen übersetzt. Bedeutende Persönlichkeiten, wie Nobel, Tolstoj, Rosegger, Henri Dunant, waren von diesem Werk begeistert.

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Bertha von Suttners Bemühungen, die Nationen der Welt in einer der Idee des dauernden durch Garantien verbürgten Friedens gewidmeten Vereinigung zusammenzuschließen, wurden zu ihrem Lebensziel. In den neunziger Jahren rief sie die „österreichische Friedensgesellschaft“ ins Leben. Ein weiteres Buch aus ihrer Feder „Schach der Qual“ (1898) gab wahrscheinlich die unmittelbare Anregung zu einem Manifest des Zaren Nikolaus II., in dem eine Konferenz zur Sicherung des Dauerfriedens für alle Völker der Welt vorgeschlagen wurde. Auch die Einberufung der Haager Friedenskonferenz, bei der die Schriftstellerin anwesend war, stand mit dieser Aktion des Zaren im Zusammenhang.

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Im Jahre 1902 starb Arthur von Suttner und ließ die damals Neunundfünfzigj ährige in trostloser Vereinsamung zurück. Doch schließlich wuchs Bertha von Suttner, die Frau mit dem starken männlichen Willen, über sich selbst hinaus und kämpfte für die Verwirklichung ihrer Idee weiter. Im Jahre 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis, den Preis jener Stiftung, zu der Alfred Nobel, der Erfinder des Dynamits, durch ihren Einfluß bewogen worden war. Noch einen zweiten von den reichsten Männern der Erde gewann sie für ihre Ziele: Andrew Carnegie, der 1910 für den Friedenspreis einen Betrag von zehn Millionen Dollar zur Verfügung stellte.

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Am 21. Juni 1914, im Alter von 71 Jahren, starb sie in ihrem Heim in Wien, Zedlitzgasse 7. Zwei Tage später wurde ihre Leiche einer letztwilligen Verfügung gemäß in Gotha, wo auch die Urne ihres Gatten beigesetzt war, eingeäschert.

Die große Vorkämpferin des Friedens hat den Ausbruch des ersten Weltkrieges nicht mehr erlebt, wohl aber vorausgeahnt. Die Grauen des zweiten Weltkrieges wären ihr unvorstellbar gewesen. Doch indirekt hat Bertha von Suttner dazu beigetragen, daß in unserer Zeit, 50 Jahre nach ihrem Tod, Konflikte zwischen den Völkern nicht unbedingt mit der Waffe in der Hand ausgetragen werden müssen, sondern durch Vermittlung der UNO beigelegt werden können. Daran sollte man sich am Todestag Bertha von Suttners erinnern. Und dafür sollte man ihr danken.

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