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Osterreichischer Friede Amerikanische Sehnsucht?

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Ein österreichisches Schicksal in der Josefstadt: Herbert Ertls „Bertha Suttner“. Der Weg der Komtesse Kinsky als Gouvernante, Sekretärin Alfred Nobels, Romanschriftstellerin im Kaukasus — bis aus ihr die „Friedensfurie', die „Friedensbertha“ wird. Jene Frau, die der österreichische Adel ausstößt, der Kaiser Wilhelm II. das Sprechen in Berlin verbietet: ein Gespött für alle Klugen, Gescheiten, Selbstsicheren, Avancierten, für die Christen mit dem nationalen, gesunden Menschenverstand („es wird immer Kriege geben, was will das verrückte Weib?“), für die Atheisten, die im Verein mit ersteren Kanonen und anderes produzieren! für alle die, die nur an die Macht des Interesses glauben, welche Konfession immer auch sonst ihre Papiere bekennen mögen. Diese „Realisten“, die felsenfest vom ewigen Sieg ihrer kleinen Rechnungen über das Ewige überzeugt sind, hetzen diese Frau von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Bis sie müde, verbraucht, enttäuscht, aber nicht gebrochen, 1914 in Wien stirbt.

Herr Professor Dahn, Felix Dahn, hat unter lebhafter Zustimmung von tausend Kollegen auf ihr Werk „Die Waffen nieder“ mit seinem Buch „Die Waffen hoch“ repliziert, das Welttreiben hat ihr mit zwei Weltkriegen geantwortet — gibt es ein größeres Debakel? Und doch sind die Dinge so einfach, „liegen“ so „richtig“: es ist der Kreuzestod des Guten, des Göttlichen in der Welt — in diesem Tod aber wächst der Samen des Lebens. Die Eine Menschheit, die heute in furchtbaren Wehen dem Einen Frieden zuwächst, wird die Suttner nie vergessen. — Ertls historischer Bilderbogen vermag die Tragödie ihres Lebens leider nur teilweise dramaturgisch nachzugestal-ten. Abzulehnen ist der sentimental ischfalsche Schluß, der die Suttner am Tag des Attentate von Sarajewo sterben läßt.

Seinen 80. Geburtstag konnte Otto T r e ß-ler mit einer ihm zu Ehren vom Burgtheater veranstalteten Neuinszenierung des Gebrüder-Schönthan-Schwankes „Raub der Sabinerinnen“ prächtig feiern. Sein SdimierendirektOT Striese geht in die großen Rollengestalten unserer Theatergeschichte ein.

„Armer Liebling“ von Paul Bar-nett in den Kammerspielen ist ein Lustspiel, das etwas früh die Sommersaison unserer Bühnen eröffnet. Ein jung verheirateter Reklamephotograph wird von seiner Frau, einer Innenarchitektin, zur „altmodischen“ Auffassung der Einehe bekehrt. Ende gut, Anfang schwach.

Eine faszinierende Aufführung von Tenes-see Williams Welterfolgsstücks „E n d-station Sehnsucht“ („A Streetcar na-med Desire“) unter Viertels Regie im Akademietheater. Hier bindet die Magie des Theaters — ein Erlebnis, das uns heute nur mehr selten zuteil wird — den Zuschauer, bannt ihn in ihren beklemmenden Zauberkreis. — Eine kurze Wiedergabe des Textstoffes fällt nicht leicht, muß chokieren, weil das rohe „Material“ eine gewisse Brutalität der Konzeption enthüllt. Zwei Mädchen aus einem alten, vornehmen Haus in den Südstaaten: Blanche und Stella Du Bois. Aus dem Zusammenbruch der Familie rettet sich Stella in die Ehe mit dem Handlungsreisenden Kowalski. Blanche geht unter. Welch ein Untergang aber dieses weiblichen Don Quixote — denn das ist sie: ein labilzarter, empfindsamer Mensch, der nur seine Ideale sehen will, zerbricht am Vertrauen, das er anderen geschenkt hat. Vielleicht zu einer Dichterin, einer Künstlerin geboren, gibt Blanche sich preis, läßt sich vom Winde verwehen, nachdem ein Schockerlebnis in einer zu frühen Ehe sie seelisch gespalten hat. Ihr Leib gehört fortan der Welt, ihr Geist schweift durch traumdunkle Tiefen. Einen letzten Rettungsversuch unternimmt sie: sie schleppt sich in die Wohnung der Schwester und zerbrioht hier endgültig an der primitiven, einfachen Artung der kleinbürgerlich-gesunden Verhältnisse. Ohne Zweifel: letzte Decadence, Verfall, gemalt mit allen Farben der seelenkundlichen Palette. Die Frage darf gestellt werden: Bedurfte Williams dieser menschlichen Rand- und Grenzsituation, um ein so faszinierendes Stück zu schreiben? Die Antwort kann bejahend ausfallen, muß es aber nicht. Immerhin, das Lebenswerk der Langgässer, dieser bedeutenden katholisdien Dichterin, bewegt sidi in denselben Zonen wie dieses Drama um das zwiefache Antlitz der menschlichen Liebe. Alles kreist hier im Spannungsfeld ihrer beiden Pole: die Straßenbahn Desire führt den Menschen zu Desire = Sehnsucht = Liebe, und zu Desire = Triebbegierde. Diese beiden Pole, im sogenannten „normalen“ Leben einigermaßen getrennt, werden hier nun synkopiert, ineinandergeschmolzen mit einem Raffinement, einer Intensität, einer Grausamkeit, die „das Brutalste neben das Zarteste setzt“. „Man könnte sagen, diese Tragödie sei aus dem Geiste des Jazz geboren“ (Berthold Viertel). Verschmelzung der Gegensätze, coincidentia oppositorum, aber nicht aus dem Geist der Klarheit und Kraft, sondern als Confusio, als letzte Wirrung, deren Symbol die Schizophrenie ist: das gespaltene Sein später Menschen (die Du Bois stammen von französischen Hugenotten ab — nicht uninteressant wäre ein Vergleich mit dem Ringen Andre Gides um eine immanente Überwindung dieser inneren Spaltung).

Die hervorragende Aufführung zentriert sich um. die bewundernswerte Leistung der Frau Käthe Gold.

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