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Ihr alle aber seid Schwestern!

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Hildegard Burjans 25. Todestag fällt mit Tagen ernster sozialer Besinnung zusammen: dem Wiener Katholikentag 195. „Die Furche“

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Hildegard Burjans 25. Todestag fällt mit Tagen ernster sozialer Besinnung zusammen: dem Wiener Katholikentag 195. „Die Furche“

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Vor 25 Jahren, am 11. Juni 1933, starb Doktor Hildegard Burjan. Aus der viele Jahre geduldig ertragenen Last seelischer Opfer und physischer Leiden, aber auch mitten aus einep Leben aktivster Kraft, unermüdlichen Wirkens an hohem Werk wurde Sie abberufen, kaum fünfzigjährig.

Was sie geschaffen, bleibt unvergessen und gibt heute noch Zeugnis von der beispielgebenden Sozialleistung dieser Frau.

Erlebnisse ihrer Kindheit — sie wuchs in einer gutbürgerlichen, kultivierten, aber glaubenslosen Familie auf — regten sie mächtig an, über religiöse Dinge nachzudenken. Als junge Frau trat sie in die große Gemeinschaft der katholischen Kirche ein; aus ihr schöpfte sie fortan die treibende Kraft ihres Lebens und ihrer Entscheidungen.

Ihr äußerer Bildungsgang hatte sie zum akademischen Studium geführt, das sie in Zürich absolvierte. Die eheliche Verbindung mit Diplomingenieur Alexander Burjan führte sie zuerst nach Berlin, dann nach Wien (1909). Hier fand sie die Stätte, auf der sich ihre außergewöhnliche geistige und organisatorische Begabung, getrieben von religiösen und sozialen Impulsen, ins Große entwickeln konnte.

Tiefes Interesse für die damals stark aufblühende christliche Arbeiterbewegung brachte sie mit Kunschak und Spalowsky in Verbindung. Zugleich fand sie Anschluß an die katholische Reichsfrauenorganisation, die, noch in den Anfängen ihres Wirkens, junge und arbeitsfreudige Kräfte wohl zu schätzen wußte. Lola Gräfin Alemann und Hanny Brentano, führende katholische Frauen, blieben Hildegard Burjan in lebenslanger Freundschaft verbunden.

Aus den Interessenkreisen Arbeiterschaft und Frauenbewegung formten sich ihr die ersten Pläne praktischer Tätigkeit. Zunächst sah sie ihre Aufgabe darin, sich der weiblichen Erwerbstätigen und der Arbeiterfrauen anzunehmen. Bald aber zeichnete sich ihr immer deutlicher eine Gruppe schwer um ihr Dasein ringender, besonders hilfloser Frauen ab: sie lernte das Elend der Heimarbeiterinnen kennen, die mitsamt ihren Kindern, mangels jeglichen Schutzes Hungerlöhnen ausgeliefert, einer unvorstellbaren Lebensnot preisgegeben waren. Ihnen zu helfen, war eine innere Forderung, die Hildegard Burjan nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Sie suchte ihre Erfahrungen Und ihr Fordern in dieser Frage in die breiteste Oeffentlichkeit zu tragen. Sie rief das Gewissen der katholischen Welt wach. Auf dem 3. Conseil der katholischen Fraueninternationale (heute Union Mondiale des Organisations Feminines Catholiques), der im Jahre 1912 in Wien stattfand, hielt sie eine überaus eindrucksvolle Rede, in der sie die katholischen Frauenverbände ermahnte, in allen Staaten auf die Schaffung von Schutzbestimmungen, vor allem auf die Festsetzung von Mindestlöhnen, zu dringen und christliche Heimarbeiterinnenorganisationen zu gründen, um solcherart ein Sprachrohr für die berechtigten Forderungen dieser so schwer vernachlässigten Menschen zu haben. In Oesterreich begann sie selbst das mühselige Werk, die Heimarbeiterinnen aus ihrer Isolierung, aus ihrer Aengstlichkeit und Verzagtheit herauszuholen. Der „Verband christlicher Heimarbeiterinnen“ trat ins Leben. Und er erwies sich bald als ein ungemein wertvolles Instrument der Hilfe für die Hilflosen. Freilich nur in der Hand einer so mutigen und btharrlichen Helferin, wie es Dr. Burjan war. Sie gewann große Auftraggeber, wie die Heeresverwaltung und Spitäler, dafür, ihre Näharbeiten direkt durch den Verband an die Heimarbeiterinnen zu vergeben. Das gab auf lange Sicht bisher ungewohnt gute Löhne und sicheres Brot.

Wenn auch erst Jahre nachher in einem österreichischen Heimarbeitsgesetz die ersten Schutzbestimmungen (Sozialversicherung und Mindestlohn) und eine Kontrollorganisation (Heimarbeitskommissionen) geschaffen wurden, den Anstoß dazu hatte das tapfere und zielbewußte Eintreten von Dr. Burjan gegeben.

Auch in der Folge, gehörte den heimarbeitenden Frauen ihr starkes und lebendiges Interesse. Als im ersten Weltkrieg vor allem die Klöpplerinnen des Erzgebirges (damals noch zu Oesterreich gehörig) durch die Zerstörung ihrer Absatzgebiete schwer unter die Räder kamen, brachte, sie, von überallher zusammengebettelt, große Mengen von Lebensmitteln in die Dörfer des Erzgebirges. Viele, sonst buchstäblich vom Hungertod bedrohte Menschen konnten gerettet werden.

Das war das Charakteristische im Wesen dieser Frau: Mochte ein Plan im Augenblick noch so schwer und undurchführbar erscheinen, ihr starker Wille und ihre Dispositionskraft fanden immer Wege der Verwirklichung.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie rief die Erste Republik auch die Frauen zur Mitarbeit im öffentlichen Leben auf. Dr. Hildegard Burjan zog als einzige Mandatarin der Christlichsozialen Partei nach der Wahl vom 16. Februar 1919 in die „Konstituierende Deutschösterreichische Nationalversammlung“ ein. Sie gehörte dem Parlament nicht lange an, aber auch in der kürzen Zeit ihrer politischen Aktivität zeichneten sich die Spuren ihres Wirkens der Arbeit der gesetzgebenden Körperschaft in nicht zu übersehender Weise ein. In den Verhandlungen über das Hausgehilfinnengesetz vermochte sie als Sprecherin der Christlichsozialen die in manchem klassenkämpferisch infiltrierten Anträge der sozialdemokratischen Referentin (Frau Anna Boschek) so zu mäßigen, daß der Entwurf angenommen werden konnte. Im Jahre 1927 war es ihrer Intervention bei Dr. Seipel (sie selbst war damals nicht mehr National-rätin) zu danken, daß bei einer Novellierung der Altersversicherung auch die Hausgehilfinnen erstmalig* berücksichtigt wurden (Altersfürsorgerente).

Der tiefste Grund ihres Ausscheidens aus der politischen Arbeit war das immer stärkere Hingezogensein zu ausgesprochen sozialkaritativer Tätigkeit auf religiöser Basis. Sie sah die Not der vielen und die vielfache Not, die sich nicht in Schablonen mit Instanzenzug einordnen ließ, sondern ebenso rasche wie individuelle Hilfe brauchte. Schon waren in Budapest und in München Schwesternschaften am Werk, deren Organisation bei Wahrung der Kommunität doch beweglich genug, deren Schulung vielseitig und aktuell genug war, um für jeden gegebenen Notfall ansprechbar zu sein. Eine solche Schar von Helferinnen als Religiosengemeinschaft in Oesterreich zu schaffen, war Hildegard Burjans Ziel.

Es gab schwere Hindernisse zu überwinden. Aber sie hätte nicht sie selbst sein müssen, hätte sie vor Schwierigkeiten kapituliert. Im Jahre 1918 wurde die Caritas Socialis gegründet. Ihr geistlicher Leiter und Betreuer war Doktor Seipel. Diese Schwesternvereinigung, bis ins Detail von Dr. Burjan geplant, aufgebaut und ausgebaut, war wohl ihres Schaffens liebstes Kind. Die strenge Durchbildung der Schwestern, der ganze Einsatz von Dr. Burjans Persönlichkeit für die Sicherung des Werkes und die Ausweitung seiner sozialen Mission, das rasche Wachstum der Gemeinschaft, zu der viele Abiturientinnen, später auch Akademikerinnen stießen, ließ bald in allen Ländern, in die die Schwesternschaft gerufen wurde, ihren vorzüglichen Wert als moderne, auf alle Art sozialer Hilfsarbeit hingeordnete Institution erkennen. Heute ist die Caritas Socialis aus der katholischen Fürsorge nicht mehr wegzudenken. Die Schreiberin dieser Zeilen hat selbst aus dem Munde Bischofs Groß von Leitmeritz das ehrlich begeisterte Lob vernommen, das er den Leistungen der Caritasschwestern, die er in seine Diözese geholt hatte,-zollte.

Die Arbeit ging fort, in und neben der Caritas Socialis. Das war Dr. Burjans ganz stark geprägte Art: Notwendigkeiten, die andere bloß registrierten, sprangen sie mit einer unüberhör-baren Forderung an, und ihre ausgesprochene Gabe, die Meinungen auch der Neinsager zu ihrer Auffassung zu bekehren, sicherten auch ihren schwierigsten Unternehmungen beste Erfolge. So ist ihr unter anderem die Reorganisation des Internationalen Mädchenschutzes in Oesterreich zu danken, und wenn heute auf allen Bahnhöfen die Frauen mit den weißgelben Armbinden ratlosen jungen Mädchen den Weg aus den Unsicherheiten und Gefahren der Fremde weisen, ist es vor allem das Verdienst Dr. Burjans.

Um das Jahr 1930 kündigte sich namentlich im Mittelstande eine zunehmende Verarmung an. Der Verlust der Vermögensanlagen, eine den bürgerlichen Schichten nicht freundliche Politik, nicht zuletzt die schon drohende Weltfinanzkrise brachten in die Kreise einst begüterter Menschen wachsende Armut und HilfIosigkeit. Ungewohnt, Fürsorgestellen zu belagern, unfähig, zu fordern oder zu betteln, litten Tausende von ihnen still und hungerten und froren sich durch den Wrnter durch.

Hildegard Burjan sah ihre Not. Und half. Die Schaffung der Elisabethtische war eine ihrer feinsten und liebenswürdigsten Aktionen. Sechsundzwanzig solcher Gaststätten waren über! ganz Wien verteilt. Die Art der Führung ließ in keinem der Gäste des Gefühl der Beschämung über empfangene Almosen aufkommen. Die kleine Mitleistung der Besucher, die Bedienung durch Damen der Gesellschaft, das geschmackvolle Milieu, die kultivierte Atmosphäre gab diesem Werk seine besondere Note und seine Vorbildlichkeit für echte Mittelstandshilfe.

Ungemein schwer war Dr. Hildegard Burjan getroffen durch den Tod ihrer beiden hohen Hefter und Förderer, Kardinal Dr. Piffl und Doktor Seipel. Narnent'lcn dieser, der so eng mit all ihren Arbeiten verbunden war, dessen Rat und Meinung ihr immer Antrieb war zur letzten Ausreife ihrer Pläne, dem sie in vielen Jahren gemeinsamen Schaffens in dankbarer Verehrung ergeben war, riß durch sein Sterben in ihren Arbeits- und Lebenskreis eine Lücke, die sich nicht mehr schließen sollte. Ihm ein Denkmal der Treue zu setzen, war das letzte große Konzept, das sich ihrem Geist formte. In einer Zeit, in der sich wirtschaftliche Schwierigkeiten schon stark fühlbar machten, brachte sie mit unvorstellbarer Umsicht und Tatkraft die Mittel auf zum Bau der Gedächtniskirche und des Volksfürsorgehauses am Vogelweidplatz.

Es war, als ob mit dieser bewunderungswürdigen Leistung alle ihre physischen Kräfte erschöpft gewesen wären. Ein tückisches Uebel, das sie seit jungen Jahren quälte, dessen schmerzhafte Anfälle sie stets standhaft unter -ihren starken-Willen gezwungen hatte, warf sie auf ihr letztes Leidenslager. Am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 193 3 schloß sie ihre Augen. Ihr Sterben war schön und heilig. Ihr Name ist in der Geschichte der österreichischen Sozialarbeit verewigt.

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