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Burjan

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Unter den Kandidaten, die in Österreich zur Seligsprechung anstehen und deren Verfahren nach den Intentionen des neuen Wiener Oberhirten beschleunigt werden soll, scheint mir besonders eine Frau die Ehre der Altäre in mehr als einer Hinsicht zu verdienen: Hildegard Burjan, die nach einem erfüllten, aber kurzen Leben von nur fünfzig Jahren 1933 in die ewige Heimat abberufen wurde.

Diese Frau ist, wenn überhaupt, „nur“ als die Gründerin der Schwesternschaft der Caritas socialis, die nicht mit der Einrichtung der Caritas zu verwechseln ist, aber ähnlich segensreich wirkt, bekannt, und die Gründung dieser geistlichen Vereinigung, die von Hildegard Burjan, die selbst verheiratet war, vorgenommen wurde, stellt sicher die bleibendste Tat ihres an Wirken so reichen Lebens dar.

Doch darüber hinaus verdient die Verewigte auch als eine Pionierin der Sozialpolitik in Österreich, als die erste Frau, die als einzige christlichsoziale Abgeordnete 1919 ins Parlament einzog und dort führend an der Sozialgesetzgebung für Heimarbeiterinnen und andere benachteiligte Gruppen beteiligt war, erinnert zu werden.

Schließlich würde Hildegard Burjan angesichts der wachsenden Annäherung zwischen Juden und Christen eine besondere Auszeichnung verdienen. Die 1883 in Görlitz in Schlesien Geborene, die den Mädchennamen Freund trug und erst durch den Beruf ihres Mannes nach Österreich kam und hier mehr als zwei Jahrzehnte wirkte, stammte aus einer jüdischen Familie und konvertierte erst nach schwerer Krankheit und Genesung zum Katholizismus.

Im übrigen ist ihre Karriere, die sie zu einer angesehenen Persönlichkeit des christlichsozialen Lagers machte und sie sogar zur Stellvertreterin des Wiener Parteivorsitzenden Leopold Kunschak werden ließ, ein empirischer Beweis dafür, daß es, entgegen Vereinfachungen und Gleichsetzungen, die von manchen Historikern vorgenommen werden, in der Christlichsozialen Partei, was immer man sonst historisch gegen sie einwenden mag, zum Unterschied vom völkisch-nationalen Lager keinen Rasseantisemitismus gab.

Osterreich könnte sich aus allen diesen Gründen glücklichschätzen, zu einer Seligen aufblicken und beten zu dürfen, deren Leben ein Opfergang und eine vorbildliche Symbiose von Elementen der jüdischen und christlichen Tradition mit der beiden gemeinsamen kollektivsozialen Dimension jenseits aller bloßen Privatfrömmigkeit war.

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