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AUF DER FRIEDENSWARTE

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Alfred Hermann Fried, durch viele Jahre engster Mitarbeiter der großen Friedensvorkämpferin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner, deren fünfzigsten Todestages vor fünf Monaten, am 21. Juni, in Feiern, Veranstaltungen und Gedenkartikeln ehrenvoll gedacht wurde, kam am 21. November 1864 in Wien zur Welt.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in seiner Vaterstadt ging Fried als Neunzehnjähriger nach Berlin, wo er die nächsten, zehn Jahre verbrachte. Nachdem er einige Semester Universitätsvorlesungen gehört hatte, wurde er Buchhändler und wechselte dann ins Verlagsfach über, um schließlich als Journalist und freier Schriftsteller tätig zu sein.

Im Alter von 16 Jahren hatte ihn die Ausstellung der un- gemein realistischen Kriegsbilder des Malers Wereschtscha-

Titelblatt der „Friedens-Warle", 1, Heft, Jahrgang 1909

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gin zutiefst beeindruckt und ihn, wie er selbst bekannte, „zum Kriegsgegner gemacht“. Als er Bertha von Suttners 1889 erschienenen Roman „Die Waffen nieder!“ las, der ebenso anklagend war wie Wereschtschagins Kriegsbilder, erkannte er sogleich die große Bedeutung dieses Buches für die Verbreitung der Friedensidee. Fried schrieb im Jahre 1891 an Bertha von Suttner, um ihr die Gründung einer Zeitschrift vorzuschlagen, in welcher die Friedensidee propagiert und lebendig erhalten werden sollte. Er war bereits fest entschlossen, sein ganzes Leben in Hinkunft der Sache des Friedens zu weihen.

So wurde die Revue „Die Waffen .nieder!“ gegründet, deren erste Nummer am 1. Jänner 1892 erschien. Diese Revue wurde von Fried und Bertha von Suttner in engster Zusammenarbeit bis 1899 herausgegeben, dann führte er die Zeitschrift unter dem Titel „Die Friedens-Warte für zwischenstaatliche Organisation“ allein weiter und baute sie zum führenden Organ der Friedensbewegung in deutscher Sprache aus. Neben Beiträgen Bertha von Suttners erschien in jeder Nummer ein Leitartikel Frieds. Die Impulse zur Entwicklung seiner organisatorischen Pläne hatte er von seiner großen Mitarbeiterin erhalten und so rief er, zwei Jahre nachdem sie die österreichische Friedensgesellschaft geschaffen hatte, im Jahre 1892 deren deutsche Schwestergesellschaft ins Leben.

In jenen Jahren widmete sich Fried einer intensiven Friedenspropaganda und schrieb für die Tagespresse in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war ein ausgezeichneter Journalist, ein meisterlicher Beherrscher der Sprache. Im Jahre 1894 erschien sein „Friedens-Katechismus“, ein Kompendium der Friedenslehre, in welchem Buche Fried gegen Unkenntnis, Mißverständnisse und falsche Ansichten über die Ziele der Friedensbewegung ankämpfte.

Im letzten Jahr des neunzehnten Jahrhunderts fand die erste Haager Friedenskonferenz auf Veranlassung des Zaren Nikolaus II. statt, deren Zweck die Verhütung von Kriegen und Milderung der Kriegsführung war. Nach Bekanntwerden des Zarenmanifestes vom Jahre 1898 widmete sich Fried der publizistischen Vorbereitung der geplanten Friedenskonferenz, an der er selbst als Korrespondent mehrerer Zeitungen teilnahm. Durch die Haager Konferenz wurde die internationale Einrichtung des Haager Schiedsgerichtshofes, der heute noch besteht, ins Leben gerufen. Frieds Werk hierüber ist „Die Haager Konferenz, ihre Bedeutung und ihre Ergebnisse“. Eine große Zahl seiner ausgezeichneten veröffentlichten Aufsätze — bis zum Jahre 1905 allein an die 700 — wurde von Fried gesammelt unter dem Titel „Unter der weißen Fahne“ — „Aus der Mappe eines Friedensjournalisten“. Sein „Handbuch der Friedensbewegung“, 1905 erschienen, dessen zweite erweiterte zweibändige Auflage in den Jahren 1911 bis 1913 herauskam, ist noch heute ein Standardwerk auf dem Gebiete der Entwicklung der internationalen Friedensidee. In diesem Handbuch werden in klarer Sprache alle einschlägigen Probleme und ihre völkerrechtlichen, militärischen, psychologischen und ethischen Aspekte erörtert.

Fried geht es vor allem darum, die Ursachen des Krieges anzuprangern und auszuschalten. In seiner „Friedens-Warte“ schrieb er im Jahre 1900: „Wir glauben, daß Europa erkennen wird, daß in der Zusammenarbeit die Macht liegt. Wir hegen zwar nicht den geringsten Zweifel, daß diese Erkenntnis erst kommen wird, nachdem Ströme von Blut das Exempel dafür statuiert haben werden.“ Es sollte dahin kommen, nationale Interessen durch internationale Eintracht zu wahren. Fried sah den „Weltbürger“ kommen und war deshalb auch zugunsten der damals noch jungen Weltsprache Esperanto tätig. Er, der sich ausgezeichnet in der französischen Sprache ausdrücken konnte und den „Annuaire de la Vie Internationale“ gründete, weilte 1907 längere Zeit in Amerika. Dieses Land war ihm Vorbild für die in Europa noch zu leistende Arbeit.

Das Jahr 1911 brachte für Österreich den zweiten Nobelpreis, und wieder war es der Friedenspreis, der einem seiner Staatsbürger verliehen wurde — Alfred Hermann Fried, der zusammen mit dem holländischen Völkerrechtslehrer und Staatsminister Tobias Asser für „sein unermüdliches Eintreten für die Friedensidee und seine organisatorischen sowie publizistischen Arbeiten im Dienste der Friedensbewegung“ diese höchste Auszeichnung erhielt. Sechs Jahre vorher hatte Bertha von Suttner als erste Österreicherin den Nobelpreis erhalten.

Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried ergänzten einander vortrefflich in ihrer Arbeit. Wenn diese große Frau mit aller Leidenschaft des Herzens gegen den Krieg kämpfte, so stritt Fried mit der gleichen „leidenschaftlichen“ Glut des Geistes für dieselben erhabenen Ziele. Die Universität Leyden in Holland verlieh Fried im Jahre 1913 das Ehrendoktorat der Philosophie für seine Schrift: „Die Grundlagen des ursächlichen Pazifismus.“ Den 21. Friedenskongreß, der in Wien vom 15. bis 19. September 1914 hätte stattfinden sollen, hatte Fried organisatorisch trefflich vorbereitet. Da starb seine Mitarbeiterin Bertha von Suttner am 21. Juni 1914. Fried weilte an ihrem Sterbebette. Wenige Wochen später brach der erste Weltkrieg aus und der Wiener Friedenskongreß konnte nicht abgehalten werden.

In den ersten Tagen des Krieges war Fried wie verloren und irrte umher, ohne sich zurechtfinden zu können. Am 7. August 1914 begann er eine Art persönlich-politisches Tagebuch zu führen, welches 1919 in Zürich als „Mein Kriegstagebuch“ in vier Bänden erschien. Zunächst veröffentlichte er den Anfang und einzelne ausgewählte Stellen in den letzten Nummern der „Friedens-Warte“, die noch in Wien herauskamen. Bald übersiedelte er jedoch in die Schweiz, da Österreich ein kriegführendes Land geworden war und als solches die Fortsetzung seiner Arbeit in Frage stellte. Seine „Friedens-Warte“ wurde in Österreich bald beschlagnahmt. Einige Zeit nach Kriegsende kehrte Fried aus der Schweiz wieder in seine Heimat zurück.

In seinem „Weltprotest gegen den Versailler Frieden“ schreibt er:

„Der Krieg lehrte uns, wir können gar nicht mehr losgelöst voneinander leben. Wir müssen zusammenzuleben verstehen oder zusammen untergehen. Das war der Sinn des Krieges, das war seine heilige Lehre. Die alten Männer von Versailles haben sie nicht verstąnden.“

An anderer Stelle heißt es: . . ‘

„Sie haben diesen Krieg herbeigeführt,aus Irrtumi, weil Sie die Weltzusammenhänge nicht erkannten. Dieser Krieg kam, weil das Denken sich nicht in gleichem Maße entwickelt hat wie das technische Können. Die Entwicklung der Menschheit war einseitig. Die geistige blieb hinter der technischen zurück.“

„Was nach diesem Krieg kommt, ist nicht etwa das feste Land, das Schiffbrüchige aufnimmt, es ist lediglich ein Floß, Treibholz, vielleicht ein kleines Boot, das ihnen Halt bietet, um die Rettung erwarten zu können, ohne Sicherheit, daß sie auch wirklich kommt. Das Elend dieses Krieges wird fortgetragen werden müssen durch die Jahrzehnte, fortgetragen, bis neue Menschen, clie in ihrem Sinn keinerlei Verbindung mit der durch diese Jahre des Krieges hindurchgegangenen Menschheit mehr besitzen, die Welt von neuem errichtet und eingerichtet haben werden.“

Am 4. Mai 1921 starb Alfred Hermann Fried, in seiner Vaterstadt Wien. Auch sein Werk, gleich jenem Bertha von Suttners, wartet noch auf die Erfüllung.

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