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Tragödie und Satyrspiel

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Sieben Tage vor den Schüssen von Sarajevo stirbt in Wien, 71 Jahre alt, Berta von Suttner, geborene Gräfin Kinsky, Witwe nach dem 1902 auf Schloß Harmannsdorf in Niederösterreich verstorbenen Artur Gundaccar Freiherrn von Suttner. Ein Leben unablässiger Friedensbemühungen in Wort, Schrift und Tat, vier Jahrzehnte lang eine europäische Unbe- bequemlichkeit, diese „Friedensberta“, verspottet und gemieden, als einzige Frau 1905 mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet, schließt an einem Sommertag des Jahres 1914 die Augen in der tröstlichen Gewißheit, ihre Idee einem weltumspannenden Friedenskongreß, der noch im Herbst unter den Auspizien des österreichischen Kaisers in Wien stattfinden soll, anvertraut zu wissen, nicht ahnend, daß, noch ehe die Kranzschleifen der Magnaten und Potentaten von halb Europa — „Der großen Vorkämpferin des Friedens" — verblichen sein werden, der Marschschritt der Bataillone von ganz Europa über ihr Lebenswerk hinweggehen wird.

Die Berta des Friedens ist die Enkelin und Nichte österreichischer Offiziere, Tochter des knapp vor ihrer Geburt verstorbenen Feld- marschalleutnants Grafen Kinsky; frühe Halbwaise also, durch Vermögenslosigkeit und die nicht gleichrangige mütterliche Abstammung vereinsamt, verlebt sie eine harte Jugend. Eine Schwärmerei endet mit dem Tod des Bräutigams — Fürsten und Konzertsängers — auf hoher See, die große Liebe zu ihrem späteren Gatten müssen beide Partner in einer Heirat gegen den Willen der Eltern des Mannes legitimieren und mit siebenjähriger Lebensfron im Kaukasus erkaufen. Noch auf ihrer beider Tod fallen Schatten: ihre Leiber ruhen nicht in geweihter Erde; die gesellschaftliche Verfemung hatte sie in den Jahren des Kampfes weit von der Jahrhunderte alten katholischen Sicherung des österreichischen Adels abgedrängt, sie wurden, Mitglieder eines freidenkerischen Feuerbestattungsvereines, auf ihren Wunsch verbrannt.

Diese österreichische Tragödie mit ihren Lichtern und Schatten, Höhenflügen und Abstürzen, Irrungen und Wirrungen nimmt jetzt mit dem furchtbaren Ernst, der dem „Fall" innewohnt, ein deutscher Film unter dem beziehungsvollen Namen „Herz der Welt" auf. Es ist anderes als patriotische Überheblichkeit, wenn wir hierzulande. Erben eines großen Schicksals, unter diesem Titel nicht nur das zuckende Herz der Friedenssehnsucht aller Menschen und Völker zu jeder Zeit verstehen, sondern in diese allgemein-menschliche, zeitlose Aufgabe auch eine spezifische österreichische Wesenheit und politische Posi tion deuten. Gleich unten wird davon die Rede sein, daßdiese Tragik in allen Zeitläuften sich wiederholt und selbst noch hinter der verzweifelten Harlekinade eines welterschütternden (zwerchfeil- und herzerschütternden) Mordsspaßes sichtbar wird...

Die Arbeitsgruppe, die den Suttner-Film geschaffen hat, war für ihre Aufgabe besonders legitimiert. Sie hat, mit Harald Braun an der Spitze, in den deutschen Filmen „Nachtwache“ und „Der fallende Stern' die brennendsten Nachkriegsprobleme, die religiöse Sehnsucht und den metaphysischen Drang der gepeinigten Menschen, der Verlorenen vorwiegend, der Besiegten und Zersprengten, mit einer Wucht und Würde dargestellt, die auch den Weg zur breitesten Masse des Volkes gefunden hat. Sie hat diesen besonderen Rang auch in dem neuen Film „Herz der Welt", der diese transzendente Sehnsucht auf die Ebene der aktuellen politischen Aktion zwingt, völlig gewahrt: „Herz der Welt" ist einer der aufwühlendsten, in seiner wohl religiös indifferenten, aber sehr anständigen weltlich-humanen Tendenz themengewichtigsten Filme der europäischen Produktion nach 1945 und der Film mit der gschlossensten Ensembleleistung des deutschen Nachkriegsfilms (Berta von Suttner: Hilde Krahl; Basil Zaharoff: Werner Hinz; Alfred Nobel: Matthias Wieman . ; Artur von Suttner: Dieter Borsche, und noch sehr viele andere bedeutende).

„Herz der Welt" übernimmt Motive aus Berta von Suttners aufrichtigem, literarisch nicht eindeutig anerkanntem Tendenzroman „Die Waffen nieder" (1889) und fügt sie mit poetischer Freizügigkeit in das eigentliche Thema — Berta von Suttners Leben und Kampf um die Bewahrung des Friedens — ein. Zeitlich zwischen zwei Kriegen (1864 bis 1914) abrollend, drängt die historisch sehr souverän gestaltende Story die zwar geschichtlich exi- tente, aber nicht in direkter Beziehung zu Berta von Suttners äußerem Wirken stehende Figur des Kanonengießers (man ist versucht zu sagen, Peer Gyntschen Knopfgießers) Basil Zaharoff in den Vordergrund und findet damit die einfachste, filmischeste Formel für ein spukhaftes, dämonisches Gegenspiel (wenn auch die Wirklichkeit noch andere, tiefere Bezüge kannte und kennt). Dramaturgisch erleuchtend, den ganzen Aufbau des Films raffend, straffend und mit einem unherhört tragischen Akzent, ja mit einer letzten, höchsten Sinngebung erfüllend, ist die Verlegung des Todes Berta von Suttners in die Mobilisierungs- tage von 1914 — kein müdes, resigniertes Remarguesches Achselzucken, sondern ein trotziges, herrisches, männliches „Trotzdem“,

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