Kein "Gebet für die Obrigkeit"

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In der Hebräischen Bibel findet sich zwar kein ausdrückliches Gebot zum Gebet, dafür gibt es aber zahlreiche Beispiele leidenschaftlichen Gebets - bei Jona, Hiob, Jeremia und Habakuk, bei den Psalmisten und bei vielen anderen Propheten. Seit der Zeit des Zweiten Tempels haben sich feste Gebetszeiten und Gebetsformeln ausgeprägt, die für Juden und Jüdinnen weltweit verbindlich sind. Viele dieser Pflichtgebete finden sich bereits in der Mischna und im Talmud. Individuelle Gebete ergänzen das Gebet in der Gemeinschaft und die Segenssprüche.

Mose selbst gibt Beispiele dafür, dass auch ein freies Gebet Wirkung haben kann, ganz unabhängig von festen Gebetsordnungen und Gebetsbüchern. Oft sind solche freien Gebete Bitten, die wir Gott vorlegen in ganz besonderen Situationen. Der Talmud sagt: "Der Heilige, gelobt sei er, sehnt sich nach den Bittgebeten der Gerechten." Wir Juden kennen Bittgebete für uns selbst und für andere, Gebete zum Dank und zum Lob, Sündenbekenntnisse und die Bitte um Vergebung.

Auch Gebete für die Obrigkeit sind dem Judentum wohlbekannt. In welche Kategorie würde ein Gebet für Papst Franziskus fallen, fragte ich mich nach der Einladung, an einer Sammlung solcher Gebete mitzuwirken (vgl. S. 15, Anm.): für einen, der an der Spitze der Kirche frischen Wind bringt und Zeichen zum Umdenken setzt. Franziskus habe schon bei seiner Wahl den Wunsch ausgedrückt, man möge ihn durch Gebet in seiner Arbeit stützen. Ein solches Gebet hat seinen Ausgangspunkt sicher in dem Wunsch, dass Gott mit denen sei, die in Verantwortung stehen. Bei Franziskus kann es auch ein Dankgebet sein für jemanden, der es versteht, die Menschen für Gott zu gewinnen. Und die Bitte, dass es ihm gelinge, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die viele Menschen an ihn knüpfen. Bei Franziskus ist die Kategorie also nicht "Gebet für die Obrigkeit". Es ist das Bitten für einen Freund.

Der Autor, Rabbiner, ist Prof. f. Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Uni Potsdam

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