Kleines Leben Im Universum

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Terrence Malicks Siegerfilm in Cannes, "The Tree of Life“, ist eine ebenso strenge wie ausufernd opulente Parabel vom Anfang von allem bis über die Mühen einer Kindheit.

Die Religion ist omnipräsent. Wie eine dicke Staubschicht liegt sie über den Seelen von Kindern und Eltern. Sie lässt Unschuld nicht zu. Und hinter der Fassade der Biederkeit lauert das Unheil. Oder zumindest die Gewalttätigkeit einer Gesellschaft, die bald in den Großen Krieg schlittern wird. Vielleicht bringt der ja die Katharsis …

Anno 2009 war das Leinwandepos mit solchem Plot der Sieger von Cannes. Michael Hanekes Vorkriegs-Beklemmung in Schwarzweiß "Das weiße Band“ überzeugt die Jury und später weltweit das cineastische Publikum.

Halbes Jahrhundert Filmdistanz

Zwei Jahre und zwei Goldene Palmen später ist die Farbe zurückgekehrt in dieses Kunstkino - was nichts weniger an Düsternis bringt: "The Tree of Life“ ist nun angesagt. Nicht mehr die deutschen Marschen anno 1913 sind der Kasus, der hier seziert und ausgebreitet wird, sondern der Mittelwesten der USA in den sechziger Jahren. Doch die Filmdistanz des halben Jahrhunderts, die Michael Haneke von Terrence Malick trennt, hebelt die Gemeinsamkeit der Aussage beider Opera keineswegs aus: Hier wie dort steht die Religion als ein Menetekel des Unheils da, hier wie dort bröckelt eine Fassade, die diesfalls die Familie O’Brien so gern aufrecht erhielte, genauer gesagt: Mr. O’Brien, der erfolglose bis mäßige erfolgreiche mittlere Angestellte der lokalen Fabrik.

Drei Söhne haben die O’Briens. Während der Vater latent bis offen gewalttätig das drohende Leben zu bewältigen sucht, macht Mrs. O’Brien den Versuch, in ihren Söhnen so etwas wie Seele und (Mit-)Gefühl offenzulegen.

All das entpuppt sich als Widerstreit der Gewalten und der Gewalttaten - und wächst sich zu einem kosmischen Epos aus, das die Anfänge alles Seins ebenso einschließt wie die hin- und herreißenden Erfahrungen von Liebe, Krankheit, Tod, Verlassenheit und Einsamkeit.

Kleiner Bub vor großen Fragen

Am Ende steht Jack, der älteste der drei Buben, erwachsen geworden vor den großen Fragen der Menschen - und bleibt der kleine Bub, der von den Wolkenkratzern, zwischen denen er sich bewegt, gleichzeitig beinah wie erschlagen und wie geborgen wirkt. Terrence Malick hat mit "The Tree of Life“ ein titanisches Werk vollbracht, das sich im Kern wohl an den mit Haneke vergleichbaren Plot hält - aber sich dann weit darüber hinausschwingt. Das mag gleichermaßen grandios wie verstörend sein: Nicht mit der kleinen Welt des Mittelwestens gibt sich dieser Regisseur zufrieden. Er ordnet diese ein in den Ursprung des Kosmos und in das, was übrigbleibt, wenn die Menschen ihre Ur-Erfahrungen hinter sich gebracht haben.

Brad Pitt hat den Film mitproduziert und spielt den ganz und gar unrunden Mr. O’Brien. Sean Penn steuert die kleine Rolle des erwachsenen Jack bei. Und dazwischen sprießen die eigentlichen Schauspielentdeckungen des Films: Jessica Chastain als Mrs. O’Brien, die beinah mit jeder Pore der Herzenswärme zum Durchbruch zu verhelfen sucht, sowie die drei Buben - extraordinär die Darstellung des jungen Jack durchs Filmdebüt von Hunter McCracken, dem Laramie Eppler als dessen Bruder R. L. sowie Tye Sheridan als Steve, der Kleinste, wenig nachstehen.

Es wird Anhänger der strengen Beschränkung auf einen Grundsachverhalt geben, wie es Haneke mit dem "Weißen Band“ vorgemacht hat: Streng ist nicht nur die Gesellschaft, die er da zeigt, sondern auch das Formale.

Strenge und ausufernde Opulenz

Terrence Malick hingegen hat zum einen diese Strenge auch im Repertoire - aber er kann es nicht dabei belassen, sondern bringt seinen Film zum Überschäumen - quasi von der Genesis bis zur Apokalypse. Dinosaurier hüpfen da ebenso umher, wie die Naturgewalten auch den Kinosaal zum Erbeben bringen. Und immer und immer wieder die Natur als Metapher: "Tree of Life - Baum des Lebens“ ist nicht nur ein Titel, sondern auch ein Bild-Programm, dem sich der Betrachter auszusetzen hat - untermalt mit dem kongenial wuchtigen Soundtrack von Alexandre Desplat, der auf einer Musik von Hector Berlioz bis György Ligeti beruht.

Das muss nicht jedermanns Sache sein, und es gibt Gründe, das Ausufernde und die Opulenz, der sich Malick hier befleißigt, zu hinterfragen. Aber des Interesses und der Auseinandersetzung ist "The Tree of Life“ noch allemal wert.

The Tree of Life

USA 2011.

Regie: Terrence Malick. Mit Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Fiona Shaw, Filmladen.

138 Min. Ab 17. 9.

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