Kommunist, Humanist und Nobelpreisträger

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Portugal jubelt seinem Nobelpreisträger Jose Saramago zu.

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Portugal jubelt seinem Nobelpreisträger Jose Saramago zu.

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Durchsagen im Pressezentrum der Frankfurter Buchmesse. Pressekonferenz hier, Buchpräsentation dort. Plötzlich ein anderer Klang. Der Ort der Pressekonferenz des Nobelpreisträgers Saramago werde in wenigen Minuten bekanntgegeben. Saramago? Ach ja, einer dieser notorischen Nobelpreiskandidaten. Wieso plötzlich Nobelpreisträger? Wer denkt im Messegetriebe schon dran, daß heute der Tag ist, an dem die Preisträger bekanntgegeben werden. Neue Durchsage, Saal Sowieso, "you will find all the technical facilities which you need". Ein paar Fotografen rennen. Ein Fernsehteam rennt hinterher. Der Saal wird schnell halbvoll. Voll wird er nicht. Die vielen Menschen in den Hallen werden am Abend oder morgen erfahren, was los war. Saramago von Mikrophonen umgeben. Dieser Tag vermehrt die Zahl der für die Schärfe seines Denkens und seinen trockenen Witz typischen Aussprüche.

Die Wahl des vorjährigen Nobelpreisträgers, Dario Fo, war nicht nur eine Überraschung, sie wurde von manchen auch als Ausrutscher gewertet (obwohl sich diese Entscheidung sehr wohl verteidigen ließ). Der Nobelpreis für Jose Saramago, Portugals erster Literatur-Nobelpreis, sollte niemandem Anlaß sein, das Nobelpreiskomitee zu kritisieren, denn daß er ein bedeutender Romancier ist, daß er ein Dichter ist, ist über jeden Zweifel erhaben. Aber er ist auch ein großer Engagierter, und das gefällt eben nicht jedem. Peinlich, daß der Vatikan alsbald deutlich erkennen ließ, wie wenig ihn diese Entscheidung freute. Englands Königin erklärt sich, wenn ihr etwas ganz und gar mißfällt, schlicht für "not amused". Auch Rom war not amused.

Nun ist es freilich eine Tatsache, daß Saramago Kommunist ist und nicht nur mit Portugals katholischem Diktator Salazar, sondern auch mit Kirche und Christentum hart ins Gericht ging. Er ist ein Ärgernis und straft den berühmten Spruch Lügen, wonach kein Herz habe, wer in der Jugend kein Kommunist sei, und keinen Verstand, wer es im Alter noch sei. Ärgerlich für viele, daß Jose Saramago mit seinen 75 Jahren nicht nur ein bedeutender Autor, sondern auch ein hochintelligenter Mann und doch Kommunist ist. (Freilich einer, der den Stalinismus strikt ablehnte.)

Er stammt aus einem Land, in dem die Kirche lange Zeit eng im Bunde mit einer inhumanen und zu verabscheuenden Diktatur war und diese stützte. Saramago ist Sohn einer Landarbeiterin, die, ebenso wie die Mutter von Albert Camus, mangels Schulbildung die Werke ihres Sohnes nicht lesen konnte. Er kennt das Elend der Armen und Unwissenden. Und die Krise der Finanzmärkte, die in Ostasien bereits Millionen Menschen ins Elend zurückgeschleudert hat und sich weiter zuspitzt, läßt Saramagos scharfe Ablehnung der um sich greifenden kapitalistischen Kälte und Unbarmherzigkeit, und damit die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, besonders aktuell erscheinen.

Der Kirche liegt vor allem Saramagos Buch "Das Evangelium nach Jesus Christus" im Magen. In den späteren Jahren milderte sich die Position Saramagos, der erst seit etwa 15 Jahren international Beachtung findet. Als sein bedeutendstes Werk gilt der Roman "Die Stadt der Blinden". Saramago ist ein Sperriger, ein Konsequenter, kein Freund der Mediengesellschaft; nicht zuletzt deshalb wurde statt ihm eher Antonio Lobo Antunes als heißer Tip gehandelt. Antunes sollte ein heißer Tip bleiben, wenn es in Stockholm nach der litarischen Qualität geht und nicht nach dem Länderproporz.

Als möglicher Nobelpreiskandidat wurde Saramago seit etwa fünf Jahren genannt. Im Vorjahr, als er sich eine reale Chance ausrechnete, zog er in seinem Haus auf der Insel Lanzarote einfach den Stecker seines Telefons aus der Wand. Auch heuer wollte er sich nicht als hoffnungsvoll Wartender selbst "blöd vorkommen" und ließ sich nicht abhalten, zur Heimreise auf den Frankfurter Flughafen zu fahren, von wo er dann zurückgeholt wurde. Doch der Ausspruch des spanischen Lyrikers Vicente Aleixandre wäre auch ihm zuzutrauen. Im Jahre 1977 aus Stockholm telefonisch vom Preis verständigt und gefragt, was er nun sage, antwortete er: "Es war verdammt höchste Zeit!"

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