Nicht von Ruhm zerstört

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Die Kunsthalle Wien zeigt die faszinierende Retrospektive einer Schlüsselfigur der Moderne: der 94-jährigen Grande Dame der Bildhauerei Louise Bourgeois.

Über die Bedeutung und den Rang noch lebender Kunstschaffender wird im internationalen Kunstbetrieb immer wieder heftig debattiert. Fällt allerdings der Name Louise Bourgeois, so ziehen Kunsttheoretiker, Museumsdirektoren und Kritiker unisono ehrfurchtsvoll den Hut. Dabei ist es noch nicht allzu lange her, da krähte noch kein Hahn nach der heute 94-jährigen Grande Dame der Bildhauerei. Bis in die späten 1980er Jahre hinein waren die berührend-geheimnisvollen Skulpturen der 1911 in Paris geborenen Bourgeois lediglich in New York bekannt, wo die Künstlerin seit 1938 lebt. Außerhalb der usa wurde Bourgeois mit einem Schlag durch die erste europäische, von Peter Weiermair kuratierte Retrospektive 1989 berühmt. Es folgte die Teilnahme an der Documenta (1992) und an der Biennale (1993). Bourgeois selbst kann der späten Anerkennung nur Positives abgewinnen: "Es war mein Glück, dass ich so spät berühmt wurde, dass der Ruhm mich nicht mehr zerstören konnte."

Wie unbeeinflusst vom Erfolg Louise Bourgeois ihrer künstlerischen Arbeit auch die letzten Jahre nachging, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Wiener Kunsthalle. Unter dem französischen Titel "Aller-Retour" (Hin und Zurück) hat der Bourgeois-Kenner Weiermair eine feine Präsentation des Spätwerks mit knapp 150 Werken (Skulpturen, Textilarbeiten, vor allem aber tagebuchartigen Zeichnungen und Schriftbildern) zusammengestellt.

Beim Gang durch die in einzelne Abschnitte gegliederte Schau, benannt nach zentralen Themen der Künstlerin wie "Spinnen", "Flüsse" oder "Sprichwörter", wird man als Ausstellungsbesucher in den Bann einer der ganz großen noch lebenden Schlüsselfiguren der Kunst des 20. Jahrhunderts gezogen. Fasziniert ist man nicht nur, weil man kaum glauben kann, dass eine über 90-jährige Künstlerin in ihrem assoziativen Denken und dem spielerischen Umgang mit verschiedenen Materialien und Medien zeitgemäßer erscheint als so manch hochgelobter 30-jährige Künstler.

Louise Bourgeois überzeugt immer wieder aufs Neue - weil man das Gefühl hat, dass ihre Kunst nur so und nicht anders sein kann -, dass ihr Leben aus Kunst besteht. Und weil Inhalt und Form hier auf selten geglückte Weise gleichbedeutend erscheinen. Bourgeois verarbeitet alles und jedes zu Kunst. Sie zerschneidet farbige Bett- und Tischtücher oder gestreifte Kleider, um daraus abstrakte spiralenförmige Textilarbeiten zu zaubern. In ihren Zeichnungen und Skulpturen finden sich figürlich-realistische Momente genauso wie abstrakte.

Das Werk von Bourgeois wurde immer wieder in Zusammenhang mit der Psychoanalyse gebracht - die bedrohlichen Plastiken als Angstbewältigung und Auseinandersetzung mit der teils traumatisch empfundenen Kindheit gedeutet. Zugleich zeichnet besonders die neuen Arbeiten eine unbeschwerte Heiterkeit aus, die sich oft in poetischen, auf die Zeichnungen geschriebenen Sprachspielen äußert.

Die überlebensgroßen Spinnen-Skulpturen, die rosafarbenen gemalten "Körperlandschaften", die geometrischen Stiftzeichnungen - alles fügt sich bei Bourgeois zu einem komplexen subjektiven Kosmos zusammen, der den Betrachter zwar unmittelbar emotional anspricht, den er aber nicht ganz verstehen - geschweige denn erklären kann. Dies liegt auch gar nicht in der Intention der Künstlerin: "Ein Kunstwerk braucht keine Erklärung. Das Werk muss für sich sprechen. Es mag Gegenstand von vielen Interpretationen sein, aber nur eine hatte der Künstler im Sinn. Manche Künstler sagen, es sei ihre Verantwortung, das Werk für die Öffentlichkeit verständlich zu machen, aber damit bin ich nicht einverstanden. Die einzige Verantwortung liegt darin, vollkommen wahrhaft zu seinem Selbst zu sein." Selten bekommt man solche Sätze heute noch zu hören. Schade.

Louise Bourgeois. Aller-Retour.

Kunsthalle Wien Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 5. 2. 10-19 Uhr, Do u. Fr 10-21 Uhr www.kunsthallewien.at

Katalog hg. von Gerald Matt und Peter Weiermair,

Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2005, 216 Seiten, e 39,

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