Nichts für Mäuseherzen

19451960198020002020

Wie die Salzburger Elisabethbühne in 40 Jahren Österreichs größtes freies Theater wurde.

19451960198020002020

Wie die Salzburger Elisabethbühne in 40 Jahren Österreichs größtes freies Theater wurde.

Werbung
Werbung
Werbung

Heiteres oder bösartiges Rokoko mit Marivaux oder de Laclos, klassische oder verfremdende Moderne mit Dürrenmatt oder Harrower, Kinder-Musical oder Märchen für Erwachsene mit Blaikner oder Topor - die Dramaturgie des Spielplans und die Qualität der Aufführungen machen die Salzburger Elisabethbühne zu einem markanten Punkt in der österreichischen Theaterlandschaft.

Begonnen hat es vor vierzig Jahren im Keller unter der Elisabethkirche beim Salzburger Bahnhof: Hier gründete Georges Müller 1958 mit Schauspielern aus der Amateurtheaterszene den Verein "Elisabethbühne". 1972 übernahm Georges Ourth die freie Truppe. Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1988 führte er das Theater vom Amateurtheater in die Off-Szene. Seine unkonventionellen Klassiker-Produktionen machten die Elisabethbühne über die Grenzen hinaus bekannt. 1977 wurde die Elisabethbühne als Kleinbühne, 1985 als Mittelbühne anerkannt.

Die Raummisere im längst baufälligen Kirchenkeller-Theater wurde immer prekärer. Die Diskussion über ein neues Haus und der lange Weg in den Petersbrunnhof begannen. 1990 wurde das Baubewilligungsverfahren eingeleitet, nach vier Jahren "Hickhack" trat es endgültig in Kraft. Im Mai 1996 wurde die Elisabethbühne im renovierten Petersbrunnhof im Salzburger Nonntal eröffnet. Heute präsentiert sich das Schauspielhaus mit einem großen Saal mit 234 Plätzen und einem flexiblen Studio mit 99 Plätzen.

Die Übersiedelung hat nicht geschadet. In 315 Vorstellungen von September bis Juli kamen im vergangenen Jahr 40.247 Besucher zu den Eigenveranstaltungen der Elisabethbühne (Auslastung: 90,4 Prozent). Zusammen mit den Besuchern der Fremdveranstaltungen (zum Beispiel Festspiele) ergibt sich eine Auslastung von 93,6 Prozent!

Die Elisabethbühne im Petersbrunnhof ist heute nicht nur das größte freie Theater Österreichs, sondern auch eines der wenigen, das ein festes Ensemble hat. Dazu kommen eine wechselnde Zahl an Gästen und sechs Schauspielschüler. Seit 1972 gibt es die Schauspielausbildung an der Elisabethbühne mit abschließenden Prüfungen in München und Wien.

Das Haus arbeitet mit einem Etat von 26,4 Millionen Schilling, davon 19,4 Millionen Subventionen (Stadt, Land und Bund) und sieben Millionen Eigeneinnahmen. Seit 1997, nach einer Verschuldung von sieben Millionen Schilling, läuft ein erfolgreicher Sanierungsplan. 75 Prozent der Schulden konnten bereits abgebaut werden. Im Sommer 1998 war die Elisabethbühne als Partner der Salzburger Festspiele Schauplatz der vielbeachteten Jelinek-Uraufführung "er nicht als er".

Nach Georges Ourths Tod (1988) übernahm Renate Rustler-Ourth, bis dahin Regisseurin und Schauspielerin, die künstlerische, 1996 auch die kaufmännische Leitung. Welche Überlegungen prägten den Spielplan des Jubiläumsjahres "40 Jahre Elisabethbühne"? "Bis auf ,Tartuffe' sind alle Stücke aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Dabei sind auch Stücke, wie Bruckners âMarquise von O.', die einen Blick auf ältere Stoffe werfen. Das verweist, am Ende des Jahrtausends auf die Bedeutung des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber wir hechten nicht der Aktualität der Moderne hinterher."

"Die Marquise von O." (von Ferdinand Bruckner nach der gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist) hat in der Inszenierung von Peter Arp in dieser Woche - am Donnerstag, dem 18. Februar - Premiere. Ferdinand Bruckner ist das Pseudonym des Schriftstellers und Gründers des Berliner Renaissance-Theaters Theodor Tagger (1891-1958).

Renate Rustler-Ourth inszenierte in der laufenden Spielzeit Friedrich Dürrenmatts Drama "König Johann" und Christopher Hamptons Schauspiel "Gefährliche Liebschaften" (nach dem Roman des Rokokodichters Choderlos de Laclos). "Ein Thema ist, daß Menschen die ihnen zugedachte Freiheit nicht leben, entweder, weil es der Nachbar nicht will - oder weil sie es selber nicht schaffen, ihre Fesseln abzustreifen", erklärt Renate Rustler-Ourth. "Es geht um Macht und Machtmißbrauch."

Parallelen dazu weist ihre dritte Inszenierung auf, Ödön von Horvaths "Die Unbekannte aus der Seine", die am 27. Februar Premiere hat: "Die Zeit im Kleinbürgermilieu steht, ist fast nach rückwärts gewandt, vielleicht, weil die Menschen so wenige eigene Perspektiven haben in ihrer Kleinherzigkeit, Mäuseherzigkeit. Wir alle sind ja instrumentalisiert, werden vom Leben gelebt. Die Unbekannte aber schafft es, das Leben zu verändern, ganz langsam. Dann verschwindet sie wieder ... âKönig Johann' ist eher eine Tragödie der Handelnden. Hier wird das Geheimnis, das Leben reflektiert."

Elisabethbühne-Meilensteine 1958-1998 1958 Gründung des Theaters in der Salzburger Elisabethvorstadt unter der Leitung von Georges Müller. Im ersten Jahr bestanden noch enge Beziehung zum Hausherrn Franz Wesenauer, dem Pfarrer von St. Elisabeth, jener Kirche, deren Namen das Theater bis heute trägt. Bereits nach einem Jahr kam es zur Loslösung von der Kirche. Bis 1984 hatte, neben dem Landestheater, in Salzburg nur die Elisabethbühne ein eigenes Haus.

1968/69 Georges Müller verläßt die Elisabethbühne 1971/72 Erste Inszenierung von Georges Ourth (geboren in Luxemburg; Engagements am Wiener Volkstheater, am Burgtheater und am Nationaltheater Weimar; Schauspieler und Regisseur am Salzburger Landestheater).

1987/88 Im Mai 1988 stibt Georges Ourth im Alter von 46 Jahren. Renate Rustler-Ourth übernimmt die künstlerische Leitung der Elisabethbühne.

1994/95 Beginn des Umbaus 1995/96 Mai 1996: Eröffnung des Hauses im Petersbrunnhof 1996/98 Erste Spielzeiten im Petersbrunnhof. Die Elisabethbühne ist mit 7,1 Millionen Schilling überschuldet, ein Sanierungskonzept wird ausgearbeitet, das bis heute bereits zu einer Schuldentilgung im Ausmaß von 75 Prozent geführt hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung