Geschlechterverhältnisse
S ehr geehrter Herr Bucher! Das ist nett, dass Sie uns einmal direkt ansprechen. Auch ich wünsche mir schon länger eine Begegnung von uns Vieren, die wir uns im interreligiösen Kolumnenaustausch befinden. Jetzt zum Beispiel wäre ein Gespräch hilfreich. Denn Sie verwirren mich: Geht es Ihnen um Geschlechter- oder um Generationenverhältnisse? Oder ist etwa beides, also für Sie Vater- und Mann sein, für mich Mutter- und Frau sein, dasselbe? Und was ist an dieser Thematik, wie auch immer wir sie verstehen wollen, "persönlicher“ als an anderen?
Ja, es stimmt: Wenn Männer auf ihr Mann sein - im Bezug zu Frauen - oder auf ihr Vatersein - im Bezug zu Kindern - zu sprechen kommen, dann verlassen sie die Arena, in der sie sich seit Jahrhunderten häuslich eingerichtet haben: das Nachdenken über "Allgemeinheiten“: über das Menschsein, Gott und die Welt "an und für sich“. Für mich als Frau verhält sich das anders. Der evangelische Ethiker Helmut Thielicke schrieb in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das "Wesensbild“ der Frau bestehe im "Gattin- und Mutter-Sein“ (Theologische Ethik III, 574), "der Vollmensch“ hingegen sei "nicht … durch den bloßen Fortpflanzungsmechanismus bestimmt“ (Theologische Ethik II/2, 288). Der Vollmensch? Und ich Frau? Teilmensch? Nicht fürs allgemeine Räsonieren vorgesehen? - Solche verfehlten Geschlechterdualismen haben wir heute hinter uns. Aber sie wirken nach. Und sie warten noch immer auf systematische Bearbeitung.
Ich bin Mutter, Sie sind Vater. Ich bin Ehefrau, Sie sind Ehemann? Was das bedeutet, müssen wir im postpatriarchalen Durcheinander erst herausfinden. Gute Ansätze gibt es, und Ihre offene Frage, in der Sie sogar von "Hilflosigkeit“ sprechen, ist einer davon. Bleiben wir im Gespräch. Ich bin dabei.
* Die Autorin ist evang. Theologin u. Schriftstellerin in der Schweiz
