Thema: Interreligiöser Dialog
Es gibt nichts Langweiligeres als ein Podium, auf dem, ordentlich aufgereiht, ein Imam, ein Priester und ein Rabbiner sitzen. Und wenn, was seit dem 11. September 2001 nur noch selten vorkommt, daneben noch ein Buddhist oder ein Atheist Platz nimmt, dann nützt das auch nicht viel gegen das Gähnen, solange es nur darum geht, dem Publikum festgefügte Historien und Dogmen zu präsentieren.
Religionen sind heute nicht mehr als voneinander abgegrenzte Lehrgebäude zu verstehen. Vielleicht waren sie es nie, denn kein wirklicher Mensch hält sich in seinem Alltag genau an das, was in den Lehrbüchern seiner Tradition geschrieben steht. Wir sind alle im Gespräch mit Nachbarinnen, Kindern, Freundinnen und Freunden, je länger je mehr auch in fernen Weltgegenden. Wir überprüfen beständig unsere Herkünfte auf ihre Lebenstauglichkeit hin, wir experimentieren, erfinden Neues, tauen Gefrorenes in lebendige Vollzüge auf. Dadurch verändern sich die Religionen. Sie passen sich - früher oder später - unseren Bedürfnissen an, lernen voneinander und klauen auch mal bei den Anderen, was sich bewährt hat. Vielleicht pilgern, fasten und schweigen heute schon mehr Protestantinnen als Katholiken, während der Papst die Kraft des volkstümlichen Wortes entdeckt? Dass der Buddhismus - oder was man vereinfachend so nennt - christliche Lebenspraxis befruchtet hat, bezweifelt kaum noch jemand. Ich selber gehe je länger je lieber in Moscheen, weil ich mich dort nicht in starre Bänke zwängen muss. Und Dorothee Sölle hat schon im Jahr 1968 ein Buch mit dem prophetischen Titel "Atheistisch an Gott glauben“ geschrieben. Zusammen mit meinen Denkfreundinnen habe ich deshalb den neuen Begriff "Intervitales Gespräch“ in die Welt gesetzt. "Vita“ ist ein lateinisches Wort und heißt "Leben“...
* Die Autorin ist ev. Theologin und Schriftstellerin in der Schweiz
