Zorro's bar mitva - © Ruth Beckermann  - Filmstill aus "Zorros Bar Mizwa" (2006)

Ruth Beckermann: Ein klarer Fall von Bilder-Lust

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Jüdische Chronistin und Anwältin klarer Zeitgenossenschaft: Ruth Beckermanns Filme sowie eine Installation im Jüdischen Museum Wien.

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Jüdische Chronistin und Anwältin klarer Zeitgenossenschaft: Ruth Beckermanns Filme sowie eine Installation im Jüdischen Museum Wien.

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Ein kleinster Kosmos in der Wiener Innenstadt. Die Marc Aurel-Straße. Der letzte jüdische Textilhändler. Der aus dem Iran stammende Hotelier gegenüber. Das Café Salzgries, welches den Eindruck hinterlässt, es existiere schon länger als ein Jahrhundert. Von September 1999 bis September 2000 hat Ruth Beckermann in "ihrer" Straße gefilmt und daraus den Film "Homemad(e)" gemacht. Eine Hommage an ein sterbendes - oder: sich veränderndes - Grätzel und an eine Kultur im Kleinen. Das gefilmte Jahr ist aber auch jenes, in dem Österreich eine bis dahin für undenkbar gehaltene Regierung und die Polit-Wirren darum beschert wurden: Die Sorgen nicht nur der Linksintellektuellen geraten wie unversehens ins Porträts dieses Lebensortes.

"Homemad(e)" bleibt auch 2008, also sieben Jahre später, ein exzeptionelles Zeitzeugnis: Der Textilhändler, hoch in den Siebzigern, ist mittlerweile verstorben. Und die Sorgen des Essayisten Franz Schuh etwa, der als Besucher des Café Salzgries seinen Filmauftritt hat, über die blauschwarze Koalition, wirken wie die Chronik einer fernen Zeit: Denn die Gesellschaft des Landes hat sich auch mit obskuren Regierungsverhältnissen längst arrangiert.

Eines beweist "Homemad(e)": Ruth Beckermann ist ebenso die - jüdische - Chronistin des heutigen Wien wie eine Anwältin subtiler, aber klarer Zeitgenossenschaft. Unnachahmlich, wie in ihren Filmen auch eine ganz und gar nicht tagesaktuelle Erzählung im Nu von der Aktualität eingeholt wird und wie Beckermann dies als Stilmittel solcher Zeitgenossenschaft in ihre Filme holt. So hat eben die Koalition mit der FPÖ anno 2000 unversehens ihren Platz in der Filmgeschichte der Marc Aurel-Straße bekommen.

Aber Beckermann ist derlei gewohnt: Schon in ihren zweiten Kinofilm "Die papierene Brücke" (1987), in dem sie ihren jüdischen Vorfahren von der Bukowina bis Wien nachgeht, platzt der Waldheim-Wahlkampf und Beckermann spart diesen keineswegs aus: Sie stellt Videoaufnahmen von erregten Diskussionen mit Passanten am Wiener Stephansplatz mitten in die melancholische, leise Suche nach den Wurzeln ihrer Identität.

Das Leben packen

Im Jüdischen Museum Wien ist zur Zeit die von Ruth Beckermann gestaltete Installation "Leben! Juden in Wien nach 1945" zu sehen. Wer den Ausstellungsraum im zweiten Stock des Palais Eskeles betritt, steht vor mehreren Trauben hunderter Fotografien, von denen jede einzelne auf einem dünnen Stahlstab aus dem Boden ragt. Ruth Beckermann hat so Bilder von Margit Dobronyi angeordnet.

Die 1913 geborene Dobronyi kam im Gefolge der Ereignisse von 1956 nach Wien und wurde zur "Haus- und Hoffotografin" der jüdischen Gemeinde. Unzählige Feste - Beschneidungen, Bar Mizwas, Hochzeiten, Purim- und Chanukka-Feiern hielt Dobronyi fest, bevor sie sich mit 91 zur Ruhe setzte. 2004 kaufte das Jüdische Museum ihre Negative an, die sich als wichtigste Bildquelle zu Wiens jüdischer Zeitgeschichte entpuppten.

"Leben!" zeigt, dass Ruth Beckermann prädestiniert ist, die Bilder der Margit Dobronyi in die Öffentlichkeit zu bringen: Eine dokumentarfilmende Chronistin heutigen Judentums nimmt sich des Œuvres einer Altvorderen an und macht das pralle jüdische Leben im Nachkriegs-Wien zugänglich. "Jedes einzelne dieser Fotos strahlt und gemeinsam entfachen sie ein Feuerwerk an Lebenslust, ja Lebensgier. Das Leben packen wollten diese Menschen. Nach allen Verlusten und Entbehrungen sich voll hineinstürzen - Geld verdienen, Kinder bekommen, ausgehen, tanzen, essen, reisen, genießen!" So schreibt Beckermann im von ihr herausgegeben, gleichfalls exzeptionellen Buch zur Ausstellung treffend: "Das Werk der Margit Dobronyi ist ein einmaliges Zeugnis der Entwicklung einer jüdischen Gemeinde nach der Schoa." Aus den 200.000 (!) Negativen hat Beckermann Exemplarisches für die exemplarische "Leben!"-Ausstellung und für den Bildband ausgewählt.

Ruth Beckermanns jüngster Film hat dazu einen ins Auge springenden Berührungspunkt: Auch in "Zorros Bar Mizwa" (2006) versucht die Dokumentarfilmerin, das heutige jüdische Leben einzufangen, und zwar mit vier Jugendlichen - drei Burschen und ein Mädchen - die sich auf die Bar Mizwa (Bat Mizwa fürs Mädchen) vorbereiten, jenes Ritual, durch das jüdische Kinder zu Erwachsenen werden. Als ob es zu Dobronyi ein Pendant im Videozeitalter gäbe: Beckermann erzählt ihren Film auch anhand der Gestalt des André Wanne, der Videoclips für Bar Mizwas herstellt - etwa für einen georgischen Buben, der in solchem Clip partout als Zorro auftreten will.

Entdeckte jüdische Identität

Eine atemberaubende Begegnung mit Ruth Beckermann stellt die kürzlich herausgebrachte DVD-Kollektion ihrer Filme dar, sieben Dokumentarfilme und drei Videos im Gefolge der Arena-Besetzung 1978. Ende der 70er Jahre ist Beckermann zum Filmen gekommen, weil es damals so gut wie keine Dokumentarfilme gibt, die sich mit österreichischen Themen beschäftigen. Solches erzählt die Filmemacherin in Interviews mit dem Journalisten Bert Rebhandl, die gleichfalls in der Kollektion zu finden sind.

In ihren filmischen Lehrjahren entdeckt Beckermann auch das neue Bewusstsein jüdischer Identität in Österreich - was nicht zuletzt eine Folge der Auseinandersetzungen rund um die Präsidentschaft von Kurt Waldheim ist: eine Gunst der Stunde, dass diese Filmemacherin genau dafür und genau in jenen Jahren zur Stelle ist.

Solches zeigt sich längst in "Wien retour" (1983), wo der Wiener Jude Franz West (1909-85) seine Erlebnisse im Roten Wien, den Auseinandersetzungen in Ständestaat und Erster Republik erzählt. Arbeitet dieser Film aber noch mit der Kombination aus der Erzählung des Protagonisten und zeitgenössischem Filmmaterial, so verweigert sich Beckermann später, etwa in "Jenseits des Krieges" dieser filmischen Arbeitsweise: 1996 machte die Wehrmachtsausstellung in Wien Station. Der Film dokumentiert, was Besucher, zu einem Gutteil Wehrmachtsangehörige, über ihre Erinnerungen und die Konklusion der Ausstellung sagen, die Deutsche Wehrmacht habe sich aktiv an der Judenvernichtung beteiligt. Weit mehr als mit Bildern von Wehrmachts-Aktionen geben diese in kahler Umgebung, ohne Kommentar und Musik aneinander montierten Interviews Zeugnis von der Gedankenwelt, die auch die Verbrechen der Wehrmacht geschehen ließ. Weil sich Beckermann eben nicht auf die Bilder aus jener Zeit, sondern auf die Gesichter und Worte der Menschen 50 Jahre später verlässt, hat "Jenseits des Kriegs" heute noch eine verblüffend authentisch-beklemmende Wirkung.

Auch die gefilmte Reise "Nach Jerusalem" (1990), wo Beckermann zeigt, was und wer ihr auf den 60 Kilometern zwischen Tel Aviv und Jerusalem begegnet ist, setzt auf die genaue Komposition einer Übertragung der Unmittelbarkeit von Begegnungen zu einem filmischen Bogen. Dies macht auch ihre formal mutigste Arbeit aus, "Ein flüchtiger Zug nach dem Orient" (1999), in der sie Spuren der Kaiserin Elisabeth nach Kairo folgt: Der Filmtext besteht nur aus Beckermanns im Off gesprochenen Essay über eine Sisi, die sich nach ihrem 31. Lebensjahr nicht mehr fotografieren lässt und durch die Welt reist. Daraus entwickelt sich eine exzeptionelle filmische Reflexion über die Macht von Bildern.

O-Ton Beckermann in diesem "Kairo"-Film: "Denn in Wahrheit drehe ich hier, weil die Lastwägen bunter sind, die Straßen voller, die Blicke fremder: Weil mein Herz höher schlägt vor Bilderlust. Vor Bilder-Gier." - Sätze, die das gesamte Filmschaffen von Ruth Beckermann übertiteln könnten.**

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