Science-Fiction im trauten Heim

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Wohnbau wird in Österreich immer innovativer: High-Tech erobert das traute Heim und die Architektur selbst wird immer extravaganter. Ob bei riesigen Wohnbau-Projekten in Wien, wie den ehemaligen Gasometern, oder bei Einfamilienhäusern, wo Vorarlbergs Architekten mit eigenwilligen Entwürfen Furore machen - Wohnen wie im Sciencefictionfilm liegt im Trend.

Simmering war bisher nicht die Traumgegend für Wohnungssuchende, abgesehen von nachthungrigen Partytigern fand kaum wer den Weg in die Arena oder zu den legendären Techno-Rave-Clubbings in den Gasometer D. Die Atmosphäre im 102 Jahre alten, riesigen Rund des ehemaligen Gasbehälters von zirka 65 Meter Durchmesser war überwältigend: farbige Nebelschwaden verloren sich in 72 Meter Raumhöhe, der aufsteigende Boden und die Galerien erzeugten eine einzigartige Atmosphäre, die auch ohne Rauschmittel wirkte. Das ganze Riesenrad hätte in einem Gasometer Platz. So viel Luxus freien Raumes konnte sich die Stadt nicht leisten, eine neue Nutzung musste her. Der einzigartige Raum der Industriedenkmäler wurde von der neu eingepflanzten Konsum - Wohnwelt endgültig zerstört.

Zweieinhalb Milliarden Schilling flossen in die Revitalisierung der Gasometer, 310 Millionen an Wohnförderung hat die Stadt Wien zugeschossen, um die vier Kolosse mit dauerhaftem Leben zu füllen. "Ich halte das für keine gute Idee, dass man dort in Riesenräume die kleinteiligste Bauaufgabe, den Wohnbau, hineingesetzt hat," sagt Architekt Manfred Nehrer, Präsident des Künstlerhauses: "Mit namhaften Architekten hat man sich die Legitimation geholt. Es ist schade, dass man so mit Wohnbauförderungsmitteln umgeht."

Seit Herbst 2001 liegt in Simmering eine Topadresse: "G-town". Die neue, moderne, junge Stadt lockt mit allem, was das konsumorientierte Herz begehrt: Shops, Büros, Wohnungen, Entertainment. Brian Ferry gab das Premierenkonzert in der von Coop Himmelblau geplanten, eiförmigen Veranstaltungshalle im Gasometer B. Eine Shopping-Mall mit 70 Geschäften zieht sich als verbindende Flaniermeile von 450 Meter Länge durch alle vier Gasometer. Zwischen 15.000 und 18.000 Besucher pro Tag soll sie anziehen, weiterer Attraktivitätsfaktor ist das "Hollywood-Megaplex" von Architekt Rüdiger Lainer. Über die "sky-walk", einer mit Bars bestückten Stahl-Glasbrücke gelangt man bei jedem Wetter komfortabel direkt vom Shopping ins 15 Säle umfassende Kinovergnügen. Der gegenüber dem Gasometer C gelegene Neubau ist luftraumdurchflutet, galerienreich, rolltreppenbestückt und räumlich viel attraktiver als die Mall im Inneren der revitalisierten Bauten.

Revitalisierung

"Die Revitalisierung der Wiener Gasometer ist ein Paradebeispiel für Stadtentwicklung und Stadterneuerung, wie es sich nicht so schnell wo finden lässt. Sind allein die vier markanten Gasometer ein Bau- und Industriedenkmal besonderer Art, geben wir den alten Bauwerken mit einer qualitätvollen Revitalisierung neue Bedeutung und Beachtung," schwärmt Bürgermeister Michael Häupl. Den Lesern der Gratiszeitung "Unser Wien" verriet er unter dem Titel "Die ganze Welt beneidet uns um die Gasometer!" folgendes: "Kein Wunder, dass mein Amtskollege aus Paris - wo bei Gott kein Mangel an toller Architektur herrscht - anerkennend den Kopf wiegte als er inmitten der Gasometer-Wunderwelt stand. Mein Tipp: Hinfahren, anschauen, staunen. Und ein bisschen stolz sein auf Wien ..."

Vor Ort präsentiert sich die Mall in den Gasometern wie jedes andere mehr oder weniger gelungene Einkaufszentrum auch. Die Dimension der einzigartigen Räume ist kaum mehr zu spüren, nur der Blick auf die verloren in den Himmel ragende Stahlskelettkonstruktion der früheren Kuppel lässt sie noch erahnen. Die großteils geförderten 600 Wohnungen in den vier Gasometern gingen weg wie die sprichwörtlichen "warmen Semmeln". Prominente Architekten bemühten sich, hinter runden Backsteinfassaden halbwegs anständig belichteten Wohnraum zu schaffen.

Am besten gelungen sind die 128 Wohnungen des französischen Stars Jean Nouvel im Gasometer A. Sie wurden in 18 segmentförmigen Bauteilen als konzentrische Türme in den Altbauzylinder gestellt, eine reflektierende Metallfassade und die luftigen Zwischenräume gewinnen so viel Licht wie möglich. Gasometer A bildet mit U3-Station und verglaster Mall das Entree zur "G-town."

Gasometer B von Coop Himmelblau erkennt man schon von weitem am markanten Schild. 116 von insgesamt 256 Wohnungen und 73 Studentenappartements sind darin untergebracht. Hier bestimmen Rohbeton und Neonlicht die Ästhetik der Mall, im Studentenheim liegen Leitungen und Rohre frei, Computerterminals stehen in der leeren Eingangshalle, Metall, Glas, schwarzes Sky-Leder geben der Bar das Ambiente eines Science-Fiction-films. "Den Studenten taugt's großteils sehr", meint Peter Schaller von der GPA, die den Gasometer B betreibt. An fensterlose Gänge reihen sich die Zimmer, die meisten Appartements erschließen sich über eine Stiege. Nina Huber aus Vorarlberg sitzt mit ihren Wohnungsgenossen Daniela Hochstöger und Reinhard Widerin in einer ziemlich dunklen Küche. Sie ist eingezogen "weil's neu ist, weil's schön ist, weil die U-Bahnverbindung gut ist, und weil ich spät dran war!" Heinz Hackenberg besichtigt eine der wenigen Wohnungen, die noch zu haben sind. Seine Tochter ist behindert, er schätzt die gute Infrastruktur. Die Orientierung durch runde, lichtlose Erschließungsgänge fällt schwer. Der Ausblick ist eigenartig: eine dichte, geschwungene, künstliche Wohnlandschaft.

Manfred Wehdorn löste in Gasometer C das Wohnungsproblem recht fantasielos: drei untere Büro- und sechs Wohngeschosse schmiegen sich ringförmig an die alte Bausubstanz, sie sind in sechs Segmente gegliedert, was Raum für vier Stiegenhäuser und zwei Freiräume gibt.

Ganz anders ging Wilhelm Holzbauer im Gasometer D vor. Er stellte einen dreizackigen Stern in die Mitte, Innenhöfe ergeben sich, die Wohnungen erhalten Loggien und Balkone, die Sicht auf die Außenwand bleibt ungetrübt. Hier ist das Stadt-und Landesarchiv untergebracht. Dort findet sich vielleicht dokumentiert, wie die Gasometer einmal ausgesehen haben.

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