Sie nannten ihn den BAUERN-BRUEGEL

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Humorvoll, scharfsinnig und zutiefst kritisch reflektierte Pieter Bruegel gesellschaftliche Verhältnisse in seinen Bildern - die weit mehr sind als Landschaftsmalereien.

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Humorvoll, scharfsinnig und zutiefst kritisch reflektierte Pieter Bruegel gesellschaftliche Verhältnisse in seinen Bildern - die weit mehr sind als Landschaftsmalereien.

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Pieter Bruegel der Ältere ist einer der innovativsten Maler und Zeichner des 16. Jahrhunderts. Er lebte in einer Epoche der politischen, sozialen und religiösen Umbrüche, die von politischer und religiöser Repression geprägt war. Kurz vor dem Beginn des niederländischen Unabhängigkeitskampfes gegen die spanische Herrschaft schuf Bruegel ein umfangreiches Werk, in dem er die zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse und den religiösen Dogmatismus seiner Zeit kritisch kommentierte. Die Gemälde und Zeichnungen von Pieter Bruegel weisen unterschiedliche Facetten auf. Sie reichen von Landschaftsdarstellungen über die verdeckte Kritik an politischen und religiösen Dogmen bis zur satirischen Darstellung der derben, teilweise obszönen Szenen des Alltagslebens der Bauern, mit denen er einen großen Bekanntheitsgrad erlangte. Laut Beschreibung des Biografen Karel von Mander soll sich Bruegel verkleidet haben, um bei ländlichen Festen das wüste Treiben der Landbevölkerung zu beobachten. Das brachte ihm die Spitznamen "Bauern-Bruegel" oder "Pieter der Drollige" ein.

Zynisch-beißend und innovativ

Genau gegen dieses Klischee wendet sich die Ausstellung "Pieter Bruegel der Ältere" in der Albertina, die vom 8. September bis zum 3. Dezember zu sehen ist. Im Gespräch mit der FURCHE erläutern die Kuratorin Eva Michel und die Assistenzkuratorin Laura Ritter die Intentionen der Ausstellung: "Wir wollten zeigen, dass Bruegel ein innovativer Landschaftsmaler und ein großer Moralist ist, der sich in Sprichwörter - und Genredarstellungen als zynisch-beißender Satiriker seiner Zeit entpuppt". Laura Ritter ergänzt: "Eine andere Intention besteht darin, das Œuvre Bruegels, das sich auf wichtige Vorläufer bezieht, in das Kunstschaffen einzubetten. Da die Albertina einen großartigen Bestand an graphischen Werken hat, war es uns möglich, eine Gegenüberstellung von Bruegels Zeichnungen mit Werken von Dürer und Tizian zu zeigen."

Über Bruegels Leben ist wenig bekannt. Er wurde zwischen 1525 und 1530 geboren; als Geburtsort nennt der Kulturhistoriker Karel van Mander das kleine brabantische Dorf Breughel nahe Breda. Bruegels Ausbildung und Frühwerk liegen weitgehend im Dunkeln. Erst sein Eintritt in die Antwerpener Malergilde 1551 ist dokumentiert. Laut der Überlieferung war Bruegel Schüler des Künstlers Pieter Coecke van Aelst. Zwischen 1552 und 1555 reiste Bruegel nach Italien, wo er sich in Rom aufhielt. Nach seiner Rückkehr nach Antwerpen, arbeitete er für den Verleger Hieronymus Cock. 1563 übersiedelte Bruegel nach Brüssel, wo er eine rege Malund Zeichentätigkeit entfaltete. Dort entstanden bekannte Bilder wie "Der Turmbau zu Babel", "Schlaraffenland" oder die "Kinderspiele", in denen Bruegel ein umfassendes Porträt der zeitgenössischen Gesellschaft entfaltete. In Brüssel heiratete der Künstler Maria Coecke van Aelst -die Tochter seines ehemaligen Lehrmeisters. Die beiden Söhne Pieter und Jan Bruegel -der sogenannte "Höllen-Bruegel" und der "Samt-Bruegel" - wandten sich ebenfalls erfolgreich der Malerei zu. Das weitere private Leben des Malers verliert sich im Dunkel der Geschichte. Überliefert ist noch das Datum von Bruegels Tod: Er verstarb am 5. September 1569 in Brüssel.

Einen Schwerpunkt der Albertina-Ausstellung bilden die Landschaftsdarstellungen, die den Eindruck einer mächtigen, erhabenen Natur vermitteln, in der die Menschen nur eine unbedeutende Rolle spielen. Sie gleichen einem Suchbild, in dem Bauern, Hirten und Wanderer als kleinste Figuren eingefügt sind. Bruegels Landschaften sind keine bloßen Abbilder der realen Natur, sondern bilden einen vorerst rätselhaften Schauplatz eines Geschehens, der vom Betrachter erst erkundet werden muss.

"Lob der Torheit" als Inspiration

Neben den Landschaften verfasste Bruegel Zeichnungen, in denen er das Alltagsleben der ländlichen Bevölkerung thematisierte. Die ebenso humorvolle wie scharfsinnige Beobachtung seiner Umgebung machte Bruegel zu einem unbestechlichen Moralisten, dem es gelang, in seinen Zeichnungen die Schattenseiten der Welt zu vereinen. Er karikierte eine "verkehrte Welt" "ein Leben im ganz Falschen", in dem die Dummheit regierte; eine Dummheit -schwer von Begriff und reich an Vorurteilen.

Eine wichtige Anregung für seine satirischen Zeichnungen und Bilder erhielt Bruegel von dem Werk "Lob der Torheit" des humanistischen Philosophen Erasmus von Rotterdam, das dieser 1509 veröffentlichte. Darin hält die Torheit eine Lobrede auf sich selbst; sie ermuntert die Zuhörer, die ebenfalls Narren sind, alles zu tun, was den Prinzipien der Vernunft widerspricht. Denn die Torheit mache den Menschen das Leben erträglicher; sie fördere das menschliche Glück und das Zusammenleben -so lautet die Argumentation: "Mögen die Menschen in aller Welt von mir sagen, was sie wollen", spricht die Torheit, "es bleibt dabei: Mir, ja mir ganz allein und meiner Kraft haben es die Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind."

Die herrschende Dumpfheit breiter Bevölkerungsschichten spiegelte sich in den Gestalten der frühen Zeichnungen von Bruegel wider; sie werden als kugelige Figuren mit ausdruckslosen Gesichtern präsentiert, die hemmungslos ihren Vergnügungen nachgehen und sie in maßlosen Essgelagen, Besäufnissen und sexuellen Aktivitäten ausleben. Zwischen 1556 und 1557 schuf Bruegel Vorzeichnungen für eine druckgrafische Serie der "Sieben Todsünden". Dargestellt werden Zorn, Neid, Eitelkeit, Wollust, Völlerei, Faulheit und Geiz in satirischer Form. Die Laster treten als Personen auf und versammeln jeweils eine Schar verkommener Personen, die dem jeweiligen Laster frönen. Beispielsweise schläft die Faulheit, die Völlerei säuft hemmungslos und die Wollust genießt die sexuellen Freuden. In den Zeichnungen der "Sieben Todsünden" ist deutlich der Einfluss von Hieronymus Bosch zu finden; der um 1450 bis 1516 gelebt hat. Seine grotesk-visionäre Bildwelt des Absurden und Vulgären, die von phantastischen Wesen wie Hybridwesen von Mensch und Tier, hässlichen Gnomen oder Baummenschen bevölkert wird, ist auch in den Zeichnungen der "Sieben Todsünden" präsent.

Neben der satirischen Darstellung der menschlichen Laster übte Bruegel eine scharfe Kritik an den sozialen Verhältnissen der frühkapitalistischen Gesellschaft, die von der Maxime "Geld regiert die Welt" geprägt wurde. Diese Maxime ist auch der Gegenstand der Zeichnung "Jedermann". Im Zentrum zeigt Bruegel einen geschäftstüchtigen Kaufmann, der im Begriff ist, zahlreiche Gegenstände zu erwerben. Dieses rastlose Streben wird noch von anderen Personen geteilt. Auf dem unteren Bildstreifen ist zu lesen:

"Es gibt niemanden, der nicht seinen Vorteil sieht. Dieser hier und jener dort schleppen etwas heim, und alle haben eine Liebe, die zum Besitztum."

Bruegel war nicht nur ein kritischer Chronist der zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern stand auch den etablierten kirchlichen Konfessionen skeptisch gegenüber. Dabei bezog er sich auf Überlegungen des Theologen Sebastian Franck, der von 1499 bis 1543 lebte. Franck wirkte vorerst als katholischer Priester; später war er von den Thesen des Reformators Martin Luther so beeindruckt, dass er zum Protestantismus übertrat. Er wandte sich von der Evangelischen Kirche ab, die sich bald zu einer Institution verfestigt hatte und entwickelte ein dogmenfreies "Christentum des Herzens".

Szenen mit Suggestionskraft

Franck predigte ein mystisches Christentum, das sich gegen eine hierarchische Kirche mit ihren Ritualen wandte. In seinen Schriften attackierte er speziell die Sakramente, die im katholischen Gottesdienst eine wichtige Rolle spielten. Sie verkörperten für ihn "der Gottseligkeit Pestilenz" und hatten die Funktion von "Puppen, mit denen Kinder spielen", Francks Vergleich der Sakramente mit Puppenspielen wurde von Bruegel aufgenommen und findet sich in der Bildthematik seines Gemäldes "Kinderspiele", das im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist. Hunderte dicke Kinder mit kreisrunden Köpfen und Knopfaugen sind darauf zu sehen, die sich an verschiedenen Spielen wie Stelzengehen, Steckenpferd-Reiten, Tauziehen oder Blinde Kuh erfreuen. Die Kinderspiele sind keineswegs nur als eine realistische Darstellung zu verstehen, sondern enthalten auch kritische Kommentare zu katholischen Riten oder Sakramenten. Diese abergläubischen Riten stehen laut Franck einer direkten Gotteserfahrung im Weg, die nur in der inneren mystischen Kontemplation erfahren werden kann. In den Gemälden und Zeichnungen Bruegels finden sich nur vage Hinweise auf die Erfahrung der Transzendenz, die im Alltagsleben keine Rolle spielt. Da herrschen Egoismus, Habgier, Neid, Betrug, Gewalttätigkeit, maßlose Gefräßigkeit, exzessive Besäufnisse und ein hemmungsloses Ausleben der Triebe vor. Bruegel hat sie eindrucksvoll in seinen Gemälden und Zeichnungen dargestellt. Diese verschiedenen Szenen des Welttheaters, das einem Narrenschiff gleicht, üben eine Suggestionskraft aus, die man auch in der Albertina-Ausstellung verspürt.

Bruegel. Das Zeichnen der Welt 8. Sept. bis 3. Dezember, Albertina tägl. 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr www.albertina.at

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