Spontanvegetation ist angesagt

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Lois Weinberger setzt Kunst in direkten Zusammenhang zu ihrem sie umgebenden Natur- und Zivilisationsraum. Er legt die Verbindungen frei und knüpft Assoziationen. Derzeit zu besichtigen im Tiroler Landesmuseum.

Es ist ein absolut spannendes Erlebnis durch die gegenwärtig im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum gezeigte Personale von Lois Weinberger zu schlendern und sich in die Gedankenwelt jenes Künstlers zu vertiefen, der von sich selbst meint, "ich beobachte, aber ich verändere nichts“. Die Natur in ihrer eher unromantischen Version am Schnittpunkt zur Zivilisation ist jener Bereich, den Weinberger als "Feldarbeiter“ im wahrsten Sinne des Wortes beackert. Unkraut auf Brachen, an den Peripherien von Städten wird bei ihm zur Metapher für gesellschaftliche Phänomene, die detailgenau und doch sehr poetisch analysiert werden.

1999 entstand so eine Brache mit Spontanvegetation in einem riesigen Käfig, als Kunst am Bau, bei der SOWI mitten im Zentrum von Innsbruck. Die Aufregung war am Anfang groß, das Verständnis tendierte eher gegen Null, heute gehört die Arbeit aber unwidersprochen zum Stadtbild.

Die Schau im Ferdinandeum stellt frühe Arbeiten aus den 1970er Jahren neben ganz aktuelle Beispiele, vereint Projekte wie jenes von der Biennale in Benin (2012) mit einem witzigen Selbstportrait aus dem Jahr 2005, platziert hier eine Skulptur mit dem Titel "Green Man“ aus getrockneten Kletten (2010) und dort eine gleichnamige Fotoarbeit aus dem Jahr 2004.

Religiöse Konnotationen

Ein "Katholischer Mondrian“ (1994) - vier dornenreiche Akazienäste zum Quadrat geschlossen - ist typisch für den subtilen Witz und die Ironie, mit der der Künstler die Welt betrachtet. Ähnlich gelagert und im religiösen Kontext seine Arbeit "Firmung“, bei der ein Wespennest, das sowohl die Natur als auch den Geist verdeutlicht, mit einem Firmkranz mit kleinen weißen Blüten bestückt ist.

Bereits auf dem Balkon des Museums wartet auf die Stadtbenützer ein Garten in gelben Plastikkübeln, wie sie auf jeder Baustelle verwendet werden. Spontanvegetation ist angesagt, was es genau werden wird, im Laufe des Sommers, weiß noch niemand. Weinberger hat der Installation den Namen "Der Verschönerungsverein lebt“ verpasst und konterkariert damit wohl die Tendenzen und Ideale sämtlicher Verschönerungsvereine dieser Erde. Im Museum sind übrigens ebenfalls atypische Dinge angesagt. Ein gelber Kübel auf der Spitze eines trockenen, starken Astes wird zur speziellen Maibaumversion, und im Stiegenaufgang wuchert ganz knapp unter dem hohen Plafond ein wunderschönes Sammelsurium an Baumschwämmen, die grün beleuchtet sind. Bereits 2009 hat Weinberger derartige Installationen unter dem Titel "Invasion“ im Musée d’Art Moderne in Saint Etienne und im Österreichischen Kulturforum in New York realisiert und in einem Begleittext festgehalten, dass für ihn der Baumschwamm "ein in der Natur vorkommendes Netzwerk des Nehmens und Gebens“ ist, wie es Günther Dankl, der Kurator der Schau, formuliert.

Bereits in seiner Jugend, am elterlichen Bauernhof in Stams, hat Lois Weinberger seine Umgebung quasi vivisektiert und in den 1970er Jahren mit "fragmentarischen Bestandsaufnahmen“, so Dankl, seine Feldarbeit begonnen, die in künstlerischer Arbeit ausgeartet ist. War er ursprünglich noch auf eine eng begrenzte Örtlichkeit fixiert, überwand er bald den geografischen Raum und tendierte zunehmend zu einer Art Handlungsraum, ganz im Sinne von Michel Foucault.

Geistige Landkarten

Bei Weinberger bestechen die weitläufigen Assoziationen und philosophischen Überlegungen, die er bei jeder Idee zu entwickeln beginnt. Deutlich und plakativ sichtbar bei seinen übergroßen "Field Works“, bei denen er Wörter zu gelesenen Texten assoziiert. Geistige Landkarten quasi. Wie groß der Spielraum für Interpretationen ist, hat nicht nur seine Arbeit "Das über Pflanzen - ist eins mit ihnen“ für die Documenta gezeigt. Dort pflanzte er Neophyten aus Süd- und Südosteuropa auf einem Gleisbett im Kasseler Kulturbahnhof. Die Arbeit wurde als politisches Statement gelesen, wobei die Bandbreite von der Einwanderungspolitik bis zu den Deportationen im Zweiten Weltkrieg reichte, heute heißt sie im Volksmund einfach "Gleis 1“ und kann immer wieder neu tagesaktuell interpretiert werden.

Auch eine Arbeit mit Stechapfelsamen in Säckchen mit verzerrten Gesichtern darauf entwickelt sich vom Thema Halluzinationen bis zu Claude Lévi-Strauss und seinem "Wilden Denken“.

Lois Weinberger

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

bis 27. Oktober, Di-So 9-17 Uhr

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