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Lois Weinberger - Mitgründer von övp, ögb, öaab und heute fast vergessen - war ein christlicher Sozialpolitiker, wie er heute Seltenheitswert besitzt.

Die Fragen von heute waren zum Teil auch die Fragen von gestern: die Vertreibung der Sudetendeutschen, der Verzicht oder Nichtverzicht auf schwerlich miteinander vereinbare Funktionen, die soziale Gerechtigkeit, die Nöte einer bürgerlichen Partei im SPÖ-dominierten Wien. Auch Lois Weinberger, dessen Geburtstag sich am 22. Juni zum 100. Mal jährte, war mit diesen Problemen konfrontiert. "Christ - Patriot - Politiker", der Titel der Festveranstaltung zu seinem Gedenken im Parlament, trifft, auch in dieser Reihenfolge, auf Weinberger zu.

Lois Weinberger wurde 1902 in Markt Eisenstein im Böhmerwald (heute ÇZelezná Ruda in Tschechien) geboren und gegen den Willen seines national-liberalen Elternhauses Ministrant, weil ihn die Kirche und ihre Bräuche faszinierten. Was Weinberger im Mai 1959 vor Sudetendeutschen sagte, klingt vor der Debatte um die BeneÇs-Dekrete brandaktuell: "Wir werden es unseren Kindern und Kindeskindern weitersagen, was damals geschehen ist. Wir werden sie aber nicht zu Rache und Vergeltung, nicht zum Hass aufrufen, wohl aber an die Gerechtigkeit mahnen. Es muss und es wird der Tag kommen, an dem das Recht über die Gewalt gesetzt und Gerechtigkeit geübt wird."

Salesianer "christianisierten"

1916 schickte man den begabten Lois ins Salesianerinternat in Wien-Erdberg, wo ihn das gemeinsame Ertragen der Nöte des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr prägte: "Alles für den anderen, fast nichts für sich selbst. Das war hier ehrliche und ehrlich gehaltene Parole." Vor allem der Direktor des Hauses, August Hlond (1881-1948), später Erzbischof von Gnesen-Warschau und Kardinal-Primas von Polen, trug nach Weinbergers eigenen Worten ohne große Worte, einfach durch sein Beispiel, viel zu seiner "Christianisierung" bei.

Nach der Auflassung des Salesianerinternates wechselte Weinberger 1920 ins Knabenseminar in Hollabrunn, das er viel kritischer sah: "Dieser ganze äußerliche Drill, diese hochmögende Erziehung von oben her, dieses stumpfsinnige gemeinsame Studieren, Spazierengehen, Schlafen, diese meist ganz unpädagogischen Strafmethoden als Haupterziehungsmittel, überhaupt dieses ganz bewusste Ausschalten jedes persönlichen Lebenswillens ist nicht Erziehung, sollte besser Verziehung, Vermassung oder sonstwie heißen." Er entfloh bald dem Seminar und setzte seine Studien als externer Schüler des Gymnasiums fort. Zum Priestertum fühlte er sich letztlich doch nicht berufen. Dafür knüpfte er bis zur Matura 1924 in Hollabrunn Freundschaften für sein ganzes Leben und schloss sich der katholischen Mittelschülerbewegung an. Dort und später auch im Bund "Neuland" lernte er seinen künftigen "politischen Zwilling" Felix Hurdes kennen. 1924 inskribierte Weinberger in Wien Staats- und Wirtschaftswissenschaften und engagierte sich auf katholischer Seite in der Studentenpolitik. Aus finanziellen Gründen musste Weinberger neben dem Studium arbeiten und es schließlich abbrechen.

Als Sekretär im Zentralverband christlicher Angestellter bewährte sich Weinberger ab 1929 so gut, dass er fünf Jahre später zum Obmann der Gewerkschaft in den Geld-, Kredit- und Versicherungsinstituten gewählt wurde. Dabei verstand er sich als christlicher, aber parteipolitisch ungebundener Gewerkschafter.

Nach dem deutschen Einmarsch von 1938, der Weinberger Beruf und Dienstwohnung kostete, fand er nur mühsam Arbeit. Daneben übernahm er auf Wunsch von Kollegen und mit dem Segen seines politischen Vorbildes Leopold Kunschak eine lebensgefährliche Aufgabe: die Führung einer neuen christlichen Gewerkschaft im Untergrund. Weinberger und Hurdes hatten auch mit den Männern des deutschen Widerstandes Kontakt, traten dabei aber leidenschaftlich für ein unabhängiges Österreich ein. Nach dem 20. Juli 1944 kamen auch zu ihnen die NS-Schergen: In Gestapohaft, im KZ Mauthausen und zuletzt im Todestrakt des Wiener Landesgerichts machten sie ein monatelanges Martyrium durch. Weinberger bekam auch die Hinrichtung des Priesters Heinrich Mayer mit, der laut durch das Graue Haus rief: "Es lebe Christus der König! Es lebe die Freiheit! Es lebe Österreich!" Weinberger schrieb später in seinem Buch "Tatsachen, Begegnungen und Gespräche" (1948) über diese Zeit: "Ich bin in der Zelle 275 E lebendiger, gläubiger Christ geworden. Leider erst dort und noch lange kein guter."

Der 6. April 1945 brachte Weinberger die Freiheit, innerhalb von drei Wochen wurde er Obmann des neu gegründeten Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes (ÖAAB), Mitbegründer der von Hurdes und ihm schon lange geplanten Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Vizepräsident des neuen Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und Unterstaatssekretär für soziale Verwaltung in der provisorischen Regierung von Karl Renner. Hatte er bis 1938 als reiner Gewerkschafter gearbeitet, so wurde er 1945 Parteipolitiker und fand es richtig, rasch auf seine Spitzenfunktion im überparteilich konzipierten ÖGB zu verzichten.

In die erste Nationalratswahl am 25. November 1945 ging die ÖVP mit dem Slogan: "Spart Kummer Euch und Ärger, wählt Figl, Raab, Weinberger!" und errang mit 85 von 165 Mandaten die absolute Mehrheit. Doch Weinberger und sein Arbeitnehmerflügel verloren an Gewicht in der Partei. Sein Amt in der ersten Regierung Figl, Minister ohne Portefeuille, legte Weinberger bald nieder, da ihn Kunschak zu seinem Nachfolger in der Wiener Kommunalpolitik bestimmt hatte.

Als Vizebürgermeister und amtsführender Stadtrat für das Gesundheitswesen forcierte Weinberger vor allem den Wiederaufbau von Spitälern, die Einführung der Krebsvorsorgeuntersuchungen und der Impfung gegen Kinderlähmung. Lange vor dessen Verwirklichung trat er schon für ein Wiener U-Bahn-Netz ein. Als der ÖVP 1959 der Vizebürgermeister verloren ging, zog sich Weinberger umgehend aus der großen Politik zurück und blieb bis zu seinem frühen Tod am 17. März 1961 nur einfacher Abgeordneter im Wiener Gemeinderat.

Erst in dritter Linie Kapital ...

"Die kleinen Leute sind die treuesten", lautete Weinbergers Vermächtnis, er nahm sich in Sprechstunden und Briefen vieler Probleme von einfachen Menschen an. Von sozialer Gerechtigkeit hatte er klare Vorstellungen: "Die richtige Rangordnung in der Ertragsteilung kann unserer Meinung nach nur in der Reihenfolge: Lebensstandard des Arbeiters, Ausbaufähigkeit des Unternehmens und erst in dritter Linie in der Befriedigung der Kapitalansprüche liegen."

Seine christliche Grundhaltung ließ Weinberger bei aller Fähigkeit zur Polemik in Reden und Artikeln (er publizierte oft und viel im "Kleinen Volksblatt" und in der ÖAAB-Schrift "Freiheit") letztlich auf Versöhnung und Kompromisse hinsteuern.

Er hatte Stärken und Schwächen, vor allem aber Prinzipien. Er war regelmäßiger Messbesucher in der Schottenkirche, zuletzt vorwiegend in St. Stephan. In seinem Glauben spielte, wie seine Tochter Waldtraud betont, Christus die zentrale Rolle, nicht die Amtsträger, und er ging gefasst und gut vorbereitet in den Tod: "In seinem ganzen Leben hat mir n ichts so imponiert wie sein Sterben."

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