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LOIS WEINBERGER SCHWARZE FAHNEN VOM RATHAUS

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Schwarze Fahnen wehen wieder von den Türmen des Wiener Rathauses. Eine Generation der österreichischen Politik haben sie im letzten Jahrzehnt verabschiedet: Seitz, Kunschak, Körnerᾠ Diesmal gilt ihr letzter Gruß bereits einem Mann, der mit seinen Freunden erst 1945 in das Rampenlicht öffentlichen Wirkens getreten ist: Seine Wiege stand im Böhmerwald. Hier wurde Lois Weinberger ant 22. Juni 1902 als Sohn eines Handwerkers in Markt Eisenstein geboren. Mitten im ersten Welt krieg, 1916, bringt ihm der auf Fronturlaub weilende Vater nach Wien. Bei den Salesianern in Erdberg soll der Bub studieren. Niemand anderer als der spätere Kardinal-Primas von Polen, August Hlond führt hier das Regiment. Die Begegnung mit dieser eindrucksvollen Priestergestalt ist für den Christen Weinberger entscheidend, für den Politiker ist ein zweites Zusammentreffen schicksalsvoll. In der katholischen Jugendbewegung stößt er auf den ebenfalls „jugendbewegten” Felix Hurdes. Beider Wege werden in Zukunft sich noch mehr als einmal in entscheidenden Stunden berühren. Nach der in Hollabrunn absolvierten Matura geht Weinberger zunächst auf die Universität. Doch die Politik nimmt ihn früh in Beschlag und läßt ihn nicht mehr los. Als der politisch engagierte Student eine Stellung als Sekretär des Zentralverbandes der Christlichen Angestellten annimmt, sind die Weichen für seinen weiteren Lebensweg gestellt. In der zweiten Linie des öffentlichen Lebens, der Gewerkschaftsarbeit, stehend, erlebt er das Drama Österreich 1918 bis 1938. Weinbergers Sternstunde schlägt, als im zweiten Weltkrieg die deutsche Widerstandsbewegung tastende Fühler nach Österreich vorstreckt. Ihre Abgesandten tref fen auf den „unbelasteten” Weinberger, dem das Vertrauen seiner Freunde aus den christlichen Gewerkschaften an Stelle der Verhafteten oder von der Gestapo „beschatteten” alten Führer mit nicht unwesentlichen Koordinationsaufgaben betraut hat. Goer- deler, Kaiser und Leuschner sprechen persönlich bei dem Versicherungsangestellten vor und werden von ihm mit politisch interessanten Männern in Wien zusammengebracht. Einer dayon ist ein als ehemaliger Sozialist bekannter Rechtsanwalt mit Namen Doktor Adolf Schärf. In diesen Wiener Gesprächen des „anderen Deutschland” reift das erste Mal die Gewißheit, daß Österreich nach dem Sturz des Nationalsozialismus aus eigenem Wollen wieder einen selbständigen Weg gehen wirdᾠ Für diesen Tag X heißt es Vorbereitungen zu treffen. Für nachherᾠ Bis dahin ist es aber noch weit. Auf dem Weg dorthin lauern Verhaftung, Lager und Tod. Auch für Lois Weinberger.

Der April 1945 bringt in letzter Minute die Freiheit und zugleich die Möglichkeit, die im Verborgenen gehegten Pläne der Verwirklichung zuzuführen. Bei der Gründung der Österreichischen Volkspartei in Wien, sprechen die „politischen Zwillinge” Hurdes und Weinberger ebenso wie bei der Formierung des Arbeiter- und Angestelltenbundes ein gewichtiges Wort. Während auf Hurdes nachdrücklich das große Konzept der christlichen Demokratie, wie es das MRP in Frankreich aufrichtete, Eindruck ausübt, folgt Weinberger eher den Vorbildern bodenständiger christlichsozialer Arbeitnehmerpolitik. Sein Ehrgeiz ist es, das Erbe Kunschaks zu übernehmen und zu mehren. Die Tagespolitik findet Weinberger zunächst als Unterstaatssekretär in der proviso- rischen Regierung Renner und hernach als Minister ohne Portefeuille im ersten Kabinett Figl, ln späteren Jahren liegt der Schwerpunkt seiner politischen Aktivität eindeutig in der Kommunalpolitik. Bis 1959 sehen wir ihm im Wiener Rathaus als Vizebürgermeister und Stadtrat für Gesundheitswesen an der Arbeit. Nahe ist der Stuhl Luegers, der auf keinen Politiker der Volkspartei eine stärkere Faszination ausübt, als auf Weinberger — und doch unerreichbar. Menschlich und politisch.

Als eine Embolie nach einer Beinverletzung am 17. März seinem Lebenein frühes Ende machte, stand er nicht mehr an der Front der Tagespolitik, die ihn, den angriffslustigen Polemiker, der er war, Schläge austeilend und Schläge einsteckend gesehen hatte.

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