Unbändiger Spieltrieb, vokale Präzision

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Gioacchino Rossinis Farsa "La cambiale di matrimonio“ schlug als kleine Belcanto-Bombe ein. In Graz. Aber nicht in der Grazer Oper, die in der Ära des 18 Jahre erfolgreichen Carl Nemeth Rossinis "Mose“ und "La gazza ladra“ gewagt hatte, sondern im Musikverein für Steiermark. Wo dessen waghalsiger Sohn, Generalsekretär Michael Nemeth, auf einer kleinen Guckkastenbühne im Kammermusiksaal in den letzten beiden Jahren auch schon höchst positiv beurteilte Produktionen von "Signor Bruschino“ und "La scala di seta“ mit jungen Gesangstalenten ins "Amabile“-Abonnement gehievt hatte.

Nun also konnte man in Graz, wo zu Lebzeiten des "Schwans von Pesaro“ und zur Hochblüte des Rossini-Fiebers in Wien mehr als ein Dutzend von Rossini-Opern aufgeführt wurden, wieder adäquat musizierten Belcanto-Zauber genießen. Denn schon "La cambiale di matrimonio“ (1810) des 18-Jährigen beweist Rossinis verschwenderischen Melodienreichtum, seine aktionsfreundliche Vokalgestik und seinen unbremsbaren kompositorischen Witz.

Das Ergebnis kann sich hören lassen

Als Theaterpraktiker montiert Rossini aus einer Sinfonia, die er mit zwölf Jahren geschrieben hat, eine launige Ouvertüre, die er später andernorts auch für die Oper "Adelaide di Borgogna“ nützen wird, in einer Sopranarie ist erstmals ein Thema aus dem "Barbiere“ angeschlagen. Der Rest ist und bleibt original und glänzt mit einer fast surrealen Verwirrungsarie des geometrisch und geografisch dilettierenden Londoner Kaufmannes Tobias Mill, einer Arie der Zofe Clarina, einer koloraturgespickten Arie der per Heiratswechsel angebotenen Kaufmannstochter Fanny und mehreren Ensembles bis hin zum angstschlotternden Duett von Mill mit dem von Mill zum Duell geforderten Möchte-nicht-mehr-Bräutigam Slook aus dem exotischen Kanada.

Musikalische Wohllautraketen zündet die fundamentale Rossini-Kennerin Michi Gaigg mit ihrem knapp dreißigköpfigen L’Orfeo-Barockorchester ohne Rücksicht auf kaum mehr singbare flotte Plapperarien. Das Ergebnis kann sich hören lassen: Der Grazer Moritz Gogg, Ensemblemitglied der Hamburger Staatsoper, gibt als belcantistisch vorgebildeter Bariton den agilen Mill, der Wiener Alexander Puhrer den auch mit phrasierungssicherer Stentorstimme auftrumpfenden Kanadier Slook. Die Amerikanerin Elizabeth Hott setzt Technik und Liebreiz als Fanny schonungslos ein und gewinnt. Zarte elegante Lyrik lässt der chinesische Tenor Lianghua Gong, der in Berlin studiert, als Bräutigam Edoardo aufblühen. Als dienstbare Geister vokal überqualifiziert der Bass Josef Pepper und die bulgarische Sopranistin Darina Kandulkova.

Regisseur Matthias von Stegmann lässt die Köstlichkeit in einem von längerer Wirtschaftskrise gezeichneten House of Burberry spielen, meidet regietheatralische Mätzchen und läßt mit Genuss den merkantilistischen Heiratswechsel in Protest gehen und das liebende Paar zusammenkommen.

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