Uraufführung von „Das Begräbnis“. Der dänische Filmemacher Thomas Vinterberg versucht am Burgtheater die Fortsetzung seines Filmwelterfolges „Das Fest“, letztlich handelt es sich aber bloß um eine Wiederholung.
„Diesmal soll alles still und ruhig verlaufen“, sagt Michael gleich zu Beginn des pausenlosen, zweieinviertel Stunden dauernden Abends. Dass das so nicht sein wird, liegt schon daran, dass er in sein Elternhaus zurückkehrt, wo sein älterer Bruder Christian vor zehn Jahren in einer berüchtigten Tischrede anlässlich des 60. Geburtstag von Vater Helge diesen des jahrelangen sexuellen Missbrauchs beschuldigte. Das war 1998 im berühmten ersten Film nach den Dogma-95-Regeln – jenem Manifest, das Filme proklamierte, die mit verwackelter Handkamera, ohne künstliche Beleuchtung und Originalton gegen das überkommene Illusionskino antraten, mit dem Ziel, eine neue Authentizität herzustellen. Seither wurde „Festen“ auch auf fast allen Bühnen der Welt nachgespielt. Das Burgtheater ermunterte den Dänen, eine Fortsetzung zu schreiben, mit der Vinterberg in Wien nun auch als Theaterregisseur sein Debüt gab.
Ein bleibendes Trauma
Wieder versammelt er die Familie in dem gediegenen Hotel, diesmal allerdings um den alten Patriarchen zu beerdigen. Weil aber die Vergangenheit nicht vergangen ist, die Auseinandersetzung mit dem innerfamiliären Kindesmissbrauch in die Sackgasse von Abwehr und Verdrängung führte und der Kinderschänder noch als Gespenst im alten Hotel herumirrt (Michael König als Geist des toten Vaters) und letztendlich „ein bisschen von mir in allen von euch steckt“, so die provozierende Aussage des Päderasten, muss die Familienzusammenkunft erneut in einer Katastrophe enden.
Was als seichtes Salonstück mit Starbesetzung beginnt, über dem von Anfang an eine dunkle Vorsehung zu schweben scheint, entwickelt sich nach und nach zur Tragödie. Auf der von Johannes Schütz gestalteten Bühne, die die verschiedensten Räume des gediegenen Hotels durch raffinierte Kulissenschieberei auf der Drehbühne vorführt, versammeln sich die Familienmitglieder. Da ist der nervöse, leicht reizbare Michael (Oliver Stokowski) mit Sofie (Johanna Wokalek), dem gutherzigen, etwas begriffsstutzigen Dummchen, und Henning, der junge Sohn von Michael, dessen knabenhafte Silhouette hinter dem Milchglas der Duschkabine den Onkel zum sexuellen Übergriff verführen wird. Der Onkel ist ausgerechnet Christian, der schwermütige Held von damals, der das Tabu brach, das die Opfer bislang zum Schweigen verdammt und den Täter beinahe unangreifbar gemacht hatte. Er ist sein Trauma nicht losgeworden und selbst zum Kinderschänder geworden. Martin Wuttke spielt Christian, der beim ersten Auftritt kotzen muss, als er das elterliche Haus betritt, zitternd vor Schmerz, Scham und Schande, als kranke, beschädigte Seele berührend und bestürzend glaubhaft. Und da ist Pia, die anständige und unglückliche Frau von Christian (Dörte Lyssewski), die einen gewaltigen Zusammenbruch erleidet, als sie von den ihr bisher offenbar verborgenen Neigungen ihres Mannes erfährt. Und schließlich sind da die Mutter (Corinna Kirchhoff als würdige Witwe), die das Wegsehen bis heute nicht überwunden hat, sowie die derbe Schwester Helene (Christiane von Poelnitz) und Kim, der Koch (Tilo Nest), der aufgrund der Freundschaft zu Christian bereit ist, noch die schwerwiegendsten Verbrechen zu ignorieren. Am Ende wird auch er den Freund nicht retten, der geradezu darum bettelt, von seinem Bruder totgeschlagen zu werden.
Hilflos und aufgesetzt
Das alles wird großartig gespielt – und trotzdem geht es kaum unter die Haut. Was man Vinterberg und seinem Co-Autor Mogens Rukov vorhalten muss, ist der unbedarfte Umgang mit dem Thema Missbrauch. Die Ursachen und Abgründe der Päderastie scheinen nicht interessiert zu haben. Die Erklärung, dass ein Fluch über dem Haus liege, die Familie von einem Virus befallen sei, wirkt hilflos und aufgesetzt. So liefert das Stück keinen Beitrag zur Missbrauchsdebatte und ist auch weniger Fortsetzung eines Erfolgsfilms als vielmehr einfach dessen Wiederholung.