Wider die Kunst des Weglächelns

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In „Rechnitz (Der Würgeengel)“ greift Elfriede Jelinek ein unfassbares Verbrechen auf, das sich kurz vor dem Ende des NS-Regimes im Burgenland zugetragen hat. Als Gastspiel der Münchner Kammerspiele ist das Stück bei den Wiener Festwochen endlich auch in Österreich zu sehen.

Zur Unterhaltung der Gäste sollen bei einem von der gastgebenden Familie Batthyány-Thyssen organisierten Kameradschafts- und Gefolgschaftsfest 180 „arbeitsunfähige“ jüdische Zwangsarbeiter in einer dreistündigen Schlachterei erschossen und erschlagen worden sein. Gräfin Margit Batthyány, Enkelin des Stahlbarons August Thyssen, ermöglichte dem hauptverantwortlichen NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Podezin, ihrem Liebhaber, die Flucht nach Südafrika. Sie selbst wurde von der halbherzigen Nachkriegsjustiz nie angeklagt und lebte bis zu ihrem Tod 1989 unbehelligt in der Schweiz, wo sie sich der Zucht von Rennpferden widmete.

Ein Gegengedächtnis schaffen

Jelinek fühlte sich angesichts des ungeheuerlichen und ungesühnten Vorfalls geradezu zur Berichterstattung gezwungen, um, wie sie sagt, das Verschwundene, Verdrängte und Vergessene sichtbar zu machen, ein Gegengedächtnis zu schaffen. Es geht genau genommen aber weniger um das Gemetzel jener Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, als vielmehr um das Dilemma der Erinnerung daran, um das Sprechen und Denken von uns Nachgeborenen. Die Frage lautet: Wie können wir über die Vergangenheit reden oder wie können wir angesichts des so Furchtbaren vielmehr nicht darüber reden? Denn Jelinek meint – das Verdikt Adornos überbietend, wonach nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten – es dürfe kein Gedicht mehr geben, in dem Auschwitz nicht ist.

Sie folgt in „Rechnitz (Der Würgeengel)“ ihrem bewährten poetologischen Konzept. In einem Schreibfuror versammelt sie historische Fakten, amalgamiert sie assoziativ mit vorhandenem Sprachmaterial, mit soufflierten Behauptungen und Meinungen zu einer einzigen, langen polyphonen Sprachpartitur ohne Figurenzeichnung.

Aus diesem Konvolut hat der Schweizer Regisseur und Jelinek-Spezialist Jossi Wieler theatrale Vorgänge, Konstellationen und Figuren herausgegeschält. In eleganten Abendgarderoben und ostentativ gut gelaunt betreten die fünf brillanten Schauspieler – Hildegard Schmahl, Katja Bürkle, André Jung, Steven Scharf und Hans Kremer – zu Klängen aus Webers „Freischütz“ den mit dunklen Parketthölzern ausgekleideten, fensterlosenRaum von Anja Rabes. Das Hirschgeweih über der Tür erinnert nicht nur an die großbürgerliche Gesellschaft oder die Hörner, die die schöne Gräfin ihrem Gatten aufgesetzt hat, sondern auch an die besondere „Jagd“, die hier allerdings einem ganz anderen „Wild“ gegolten hat.

Wer diese immerfort grinsenden, ins Publikum winkenden Figuren sind, ist nicht ganz klar. Vorgestellt werden sie als Boten, allerdings weniger im Sinne der griechischen Tragödie, als neutrale Überbringer schlechter Nachrichten, denn als mehrheitlich widerwillige, sich windende Augenzeugen, die es vor allem in der Kunst des Weglächelns zu einiger Virtuosität gebracht haben. Sie scheinen gleichzeitig aber auch widerliche Wiedergänger jener mordenden Jagdorgiengesellschaft von damals zu sein, deren Nachkommen, ewig Gestrige oder allzu vergessenswillige „Vergangenheitsbewältiger“.

Hohles, verächtliches Geschwätz

Während sie erbarmungslos heiter Eier, Pizzaschnitten, Hühnerschenkel und Torte schlemmen und jede Menge Schnaps schlürfen, einander in eindeutigen Gesten zu Leibe rücken, erzählen sie im Plauderton, wovon sie ja alle eigentlich nichts gesehen haben wollen. „Verhasst ist, wer sich nie wehren will, und solche Leute lassen wir uns jetzt vor die Läufe bringen“, heißt es einmal. Je länger der Abend, desto hohler, lächerlicher, verächtlicher klingt das Geschwätz.

Es gelingt Wielers großartiger kongenialer Inszenierung, aus Jelineks wuchernden Satzkaskaden die Abgründe des Sprechens, das geschwätzige Verschweigen, das wortgewandte Darüberhinwegreden sinnlich erfahrbar zu machen. Das Dilemma des Erinnerns allerdings bleibt, denn „das Gewinnen von Erkenntnissen ist nicht die Aufgabe des Boten, das ist die Aufgabe des Empfängers der Nachricht“.

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