6790592-1970_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Briefschreiben abgewohnen

19451960198020002020

Seitdem der „reformfreudige“ Montrealer Millionär Eric Kie-r a n s (56) vor zwei Jahren Postminister der Regierung Tru-d e a u wurde, haben die Kanadier den schlechtesten Postdienst der Welt. Eine der Maßnahmen des Postmaster-Generals war die Eliminierung der Postzustellung am Samstag. Nun führen Kanadas 27.000 Postangestellte seit mehr als zwei Monaten einen „rotierenden Streik“ durch, da sie mit der verheißenen Gehaltserhöhung von 6 Prozent unzufrieden sind. Jeden Tag gibt es einen jeweils 24 Stunden währenden Streik in verschiedenen Gebieten des „Landes der schwarzen Bären“. Da die kanadischen Postler erst im Jahre 1968 einen 22 Tage währenden Streik organisiert hatten, können sie sich nun eine Arbeitsniederlegung nicht leisten.

19451960198020002020

Seitdem der „reformfreudige“ Montrealer Millionär Eric Kie-r a n s (56) vor zwei Jahren Postminister der Regierung Tru-d e a u wurde, haben die Kanadier den schlechtesten Postdienst der Welt. Eine der Maßnahmen des Postmaster-Generals war die Eliminierung der Postzustellung am Samstag. Nun führen Kanadas 27.000 Postangestellte seit mehr als zwei Monaten einen „rotierenden Streik“ durch, da sie mit der verheißenen Gehaltserhöhung von 6 Prozent unzufrieden sind. Jeden Tag gibt es einen jeweils 24 Stunden währenden Streik in verschiedenen Gebieten des „Landes der schwarzen Bären“. Da die kanadischen Postler erst im Jahre 1968 einen 22 Tage währenden Streik organisiert hatten, können sie sich nun eine Arbeitsniederlegung nicht leisten.

Werbung
Werbung
Werbung

Als Gegenmaßnahme läßt Kierans prompt am folgenden Tag kleinere Postämter in der Nähe der am Vortag bestreikten Städte für 24 Stunden sperren und behauptet, der Streik des Vortages hätte dazu geführt, daß die von ihm gesperrten Post Offices nicht genügend Arbeit hätten.

So schlecht funktioniert die kanadische Post, daß die Zahl der Poststücke — nach einer soeben veröffentlichten Statistik — immer mehr absinkt. In Toronto beispielsweise beträgt die Abnahme 51 Prozent, in Winnipeg 52 Prozent, in Ottawa 46,5 Prozent, in Vancouver 50 Prozent Die Geschäftswelt kostet das Chaos bei der Post riesige Summen, und besonders Versandhäuser haben die Zahl ihrer Angestellten drastisch reduzieren müssen. Eine große Montrealer Blumenhandlung ging in ihrer Verzweiflung soweit, die kanadische Regierung und die Postgewerkschaft auf 62.500 Dollar Schadenersatz zu klagen. Mittlerweile sind viele Firmen dazu übergegangen, sich privater Zustelldienste zu bedienen. Unternehmen, wie die Trans-Canada Couriers Ltd., prosperieren nun wie nie vorher. Selbst in den Reihen der liberalen Regierungspartei wird die Unzufriedenheit über das Chaos bei der Post immer größer, und schon hat Doktor Stanley Haidasz, der den Wahlkreis Toronto-Parkdale repräsentiert, diese Zustände als „nationalen Skandal“ gebrandmarkt. Eric Kierans, vordem Präsident der Montrealer Börse, ehe er Politiker wurde, hat als Postmaster-General der Regierung Trudeau mehr Kopfschmerzen verursacht als alle anderen Minister zusammengenommen, behauptet der liberale „Toronto Star“. Kanadas größte Zeitung erinnert gleichzeitig daran, daß ein anderer reformfreudiger Millionär — der verstorbene Handelsminister C. D. Howe — den Liberalen auch einst eine Wahlniederlage einbrachte.

Kanadas Post Office — das unter den Unternehmen der Nation an 13. Stelle rangiert — hatte bei Jahresbeginn mit einem Defizit von 82 Millionen Dollar gerechnet, fürchtet aber einen Abgang von mindestens 130 Millionen Dollar. Das Defizit mag aber noch weit größer werden, da immer mehr kanadische Firmen — die bedeutendsten Warenhäuser darunter — dazu übergegangen sind, ihre Kataloge durch Privatfirmen zustellen zu lassen. Anderseits berichtet das Büro von Premierminister Trudeau, daß die Zahl der Beschwerden über das Chaos bei der Post weit geringer ist als die Flut von Briefen — bis zu 8000 je Monat —, die gegen das kanadische Massaker von Seehunden protestieren. Ein amerikanisches Nachrichtenmagazin erklärt dies mit der Behauptung, Kanadas Post arbeite so schlecht, daß sich die Kanadier eben das Briefschreiben abgewöhnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung