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Kanadas erregende Sphinx

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Kanadas junger Ministerpräsident Pierre Elliot Trudeau geht schwierigen Zeiten entgegen. Er ist seit mehr als neun Monaten im Amt und schon scherzt man: „Er hat im Wahlkampf nichts versprochen — und das hat er gehalten.“

In Washington bezeichnet ihn der demokratische Kongreßabgeordnete John R. Rarick aus Louisiana als „Kanadas Castro“, weil er die diplomatischen Beziehungen zu der Volksrepublik China aufnehmen will. In Paris hat Präsident de Gaulle behauptet, daß das Schicksal der Franzosen Kanadas eine dar Krisen von 1969 auslösen könne.

Jean-Jaques Bertrand, Premier von Kanadas größter Provinz — 594.860 Quadratmeilen — in der Separatisten an Terrain gewinnen, vertritt die Meinung, daß eine Volksabstimmung über das Schicksal Quebecs entscheiden solle, und fügt hinzu: „Die Stunde der Entscheidung ist nahe, doch zwischen dem Status quo und der Unabhängigkeit gibt es eine Reihe von Nuancen.“ J ean-Paul Desbiens, der unter dem Pseudonym he Frere Untel zu den meistgelesenen Polemikern der Belle Province gehört, berichtet in Toronto, daß alle Anzeichen, die er in Quebec sehe, auf einen Abfall von Kanada hinweisen. Quebec hat zudem die größte Arbeitslosenzahl — 5,1 Prozent.

Bei der Commonwealth-Konferenz in London wurde Trudeau als „agile und eher erregende Sphinx“ bezeichnet. Er ist ein Kanadier, der zu faszinieren versteht, doch fällt es ihm anscheinend schwer, Entschlüsse zu treffen. Noch kann niemand voraussagen, wie Kanadas NATO-Politik nach 1970 sein wird. Sie ist noch ebenso ungewiß wie Kanadas Landesverteidigungspolitik in den kommenden Jahren, Trudeau selbst hat zugegeben, daß diese Ungewißheit auf die Moral der Angehörigen der Bewaffneten Macht ungünstig wirke. Auch in der Innenpolitik hat Trudeau bisher, wo immer es ging, Entscheidungen vermieden.

Eine Ausnahme ist das Postministerium. Es hat die Porti drastisch erhöht und wird die Zustellung ab 1. Februar am Samstag stoppen — doch nur in den Städten. Am Land waren die Proteste gegen diese Maßnahme so stürmisch, daß dort keine Veränderung in der Zustellung erfolgen wird. Die Proteste der Städter waren anscheinend nicht lautstark genug...

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