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Kaiser Franz Joseph nun auch in Übersee

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Heute, da die Gefahr eines Abfalls der Belle Province Quebec die Nation gefährdet wie noch kein anderes Ereignis in der 110jährigen Geschichte des Landes, wird Österreichs Kaiser Franz Joseph von der kanadischen Presse als Vorbild zitiert. Der Triumph der Separatisten bei den Novemberwahlen des Vorjahres hat denkende Kanadier veranlaßt, Auswege zu suchen, um eine Teilung des „Landes der schwarzen Bären” zu verhindern.

Nun erinnert der „Toronto Star” - Kanadas größte Zeitung - in einer bemerkenswerten Stellungnahme an den „Ungarischen Ausgleich” von 1867, der den Bestand der Donaumonarchie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges sicherte. Der „Toronto Star” vergleicht den Kampf um Quebec, der vor mehr als 200 Jahren mit dem Sieg der Briten über die Franzosen endete, erstaunlicherweise mit der Schlacht von Mohačs von 1526. Die kanadische

Zeitung weist darauf hin, daß Österreich einerseits und Ungarn anderseits nach 1867 eigene Regierungen, Parlamente, Gerichtshöfe und Gesetze hatten, daß sie aber eine gemeinsame Außenpolitik und Landesverteidigung besaßen, ebenso das gleiche Staatsoberhaupt - das zugleich Kaiser von Österreich und König von Ungarn war.

Biė Tatsache, daß Renė Levesque, der Separatistenführer und nunmehrige Premierminister von Quebec, nachdrücklich betont, daß ein unabhängiges Quebec enge wirtschaftliche Bande mit Kanada anstreben werde, lassen es verständlich erscheinen, daß das Beispiel der großen Donaumonarchie heute dem zweitgrößten Land der Erde als Vorbild dienen kann.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Kanadas bisherige Verfassung den politischen Verhältnissen nicht länger entspricht. Drei Alternativen bestehen: Die vollkommene Unab-

hängigkeit Quebecs; oder eine drastische Minderung des Einflusses der Bundesregierung in Ottawa und eine größere Autonomie der Provinzen, vor allem in der Steuergesetzgebung, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik; oder schließlich die Teilung der Nation in zwei Staaten. Für diese Alternative nun erscheint der „Ungarische Ausgleich” von 1867 als bemerkenswertes- Vofbild: Das erklärt auch, weshalb das Bild des alten Kaisers Franz Joseph neben jenem des Separatisten- führers Renė Levesque diese Erwägungen in kanadischen Zeitungen zu illustrieren pflegt. Der „Toronto Star” meint dazu: „Käme es zu einem derartigen Arrangement, so wäre der ständige Konflikt zwischen Kanadas Franzosen und den Anglo-Kanadiern, der so lange die beiden Volksgruppen prägte seiner Ursache beraubt.” Je mehr sich also die Dinge ändern, desto mehr gleichen sie einander …

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