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Fällt Quebec ab?

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Seit dem Besuch von Präsident Charles de Gaulle in Montreal und seinem Kampfruf „Vive le Quebec libre!“ hat der Separatismus in Quebec immer mehr an Raum gewonnen. Frankreich hat La Belle Province entdeckt — doch die Anglokanadier haben trotz alldem ihren Humor nicht verloren. Als Le Monde, die zu Frankreichs einflußreichsten Zeitungen zählt, einen Bericht über die zweisprachige britische Kolonie Mauritius, die in Kürzf ihre Unab-i^igkeit erlangen wird-, veröftent-ite,,hieß. es darin .^Mauritius ist wie ein kleines Quebec im Süden des Indischen Ozeans. Glücklicher als die kanadische Provinz, ist es in unmittelbarer Nähe von zwei anderen französischsprachigen Inseln — La Reunion und Madagaskar.“

Dazu kommentierte Torontos „Globe & Mail“, Kanadas größte Morgenzeitung: „Na, na! Die Quebecer können nicht so unglücklich sein. Sie sind nicht so weit von St. Pierre & Miquelon entfernt...“ (St. Pierre & Miquelon, unweit der Küste Neufundlands gelegen, sind die letzten Reste des einst mächtigen französischen Imperiums. Doch während 4,500.000 der 5,500.000 Einwohner Quebecs Französisch als Muttersprache haben, leben in St. Pierre & Miquelon insgesamt bloß 5000 Einwohner!)

Das Gespenst...

Trotz des Schmunzelversuches der „Globe & Mail“ ist der mögliche Abfall Quebecs von Kanada das brennendste Problem des zweitgrößten Landes der Erde. Charles Neapole, Präsident der Montrealer Börse, der vor kurzem — Optimismus ausstrahlend — Europa bereiste, gibt nun freimütig zu, daß das „Gespenst“ des Separatismus ausländische Investoren alarmiere. Doch auch kanadisches Kapital beginnt sich aus Quebec zurückzuziehen. Das dramatischste Beispiel dafür war der Verkauf von 200.000 Aktien von Montreals Ban-que Canadienne Nationale durch ein Winnipeger Konsortium für 83,000.000 Dollar; es war eine der größten an der Montrealer Börse getätigten Transaktionen.

Sowohl bei der Regierungspartei Quebecs, der Union Nationale, wie auch bei den Liberalen, die bis zum Vorjahr in La Belle Province an der Macht waren, stoßen die Separatisten mit immer größerem Elan nach vorne. Rene Levesque, im Vorjahr noch der populärste Minister des liberalen Kabinetts, bekannte sich als Separatist und verließ die Liberale Fraktion. Levesque ist der Ansicht, daß nach der Absplitterung Quebecs harmonische Beziehungen mit Anglokanada möglich seien; ganz so, wie dies im Jahre 1905 zwischen Norwegen und Schweden der Fall war.

„Levesque hat den Rubikon über-

schritten“, behauptet man in der anglokanadischen Metropole Toronto. „In einigen Jahren wird sich zeigen, ob man ihn einen Bolivar oder einen Don Quixote nennen wird.“

Mittlerweile erklärt Rene Leves-ques früherer Kabinettskollege Eric Kierans, Präsident der Quebec Liberal Federation und ein prominenter Economist, daß der Abfall von Kanada die Quebecer zu Armut, großer Arbeitslosigkeit und Elend rühren müßte.

„Die Ungewißheit des politischen

Klimas verurteilt unsere Wirtschaft zu einer beunruhigenden Stagnierung“, behauptet Jean Lesage, der letzte liberale Premier von Quebec.

Es ist eine Ironie des Schicksals, daß die Gefahr des Zerfalles der Nation niemals so groß war wie in diesen Tagen, da sich die Feiern zum 100. Geburtstag Kanadas ihrem Ende nähern. Und daß diese Gefahr erst akut wurde, als Präsident de Gaulle — anläßlich dieses 100. Geburtstages Kanadas -r hier einen-Staatsbesuch'abstattete' und ausrief: „Lang lebe das freie Quebec!“ T“

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