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Verpflanzung eines unruhigen Herzens?

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Der Triumph des separatistischen Parti Quebecois, der bei den Wahlen in der größten Provinz des zweitgrößten Landes der Erde 69 der 110 Mandate eroberte, ist in der Geschichte Kanadas ohnegleichen. Die Liberalen, die bisherige Regierungspartei, fielen von 96 Mandaten auf 28. Premier Robert Bourassa unterlag in seinem Wahlkreis Montreal-Mercier. Die konservative Union Nationale vergrößerte ihre Mandatszahl von 1 auf 11. Der Rest entfiel auf Splittergruppen.

Der Parti Quebecois strebt die Ausrufung einer Republik Quebec an. Parteiführer Rene Levesque, einst einer der besten Journalisten in der Belle Province, war vordem Freund des Premierministers Pierre Trudeau und selbst populärer liberaler Minister. Er erklärte bei Wahlversammlungen wiederholt, daß nach dem Sieg seiner Partei innerhalb von zwei Jahren eine Volksabstimmung über die Zukunft Quebecs entscheiden werde.

Eine Kette von Korruptionsfällen, endlose, oft Monate währende Streiks, das Klettern der Arbeitslosenziffer auf 10,1 Prozent und die Unzufriedenheit der Farmer hatten die Regierung Bourassa entscheidend geschwächt. Außerdem minderte ein diskriminierendes Sprachengesetz die Popularität der Regierung bei den Einwanderern. Das Gesetz zwingt die Kinder von „Neukanadiern“, die nicht britischer Abstammung sind, französische Schulen zu besuchen, wenn ihre Kenntnisse des Englischen als ungenügend bewertet werden.'

Quebec ist so groß wie die neun nordöstlichen Staaten der USA, Frankreich und Großbritannien zusammengenommen. Die Provinz erzeugt etwa ein Drittel aller Fertigwaren Kanadas, hat eine riesige Papier-und Zellstoffindustrie, liefert rund 70 Prozent der Weltproduktion von Asbest, hat das größte aller Aluminiumwerke, aber keine Erdölvorkommen. Dennoch gehört Quebec nicht zu den reichen Provinzen Kanadas.

Obwohl der Parti Quebecois nun eine starke relative Mehrheit besitzt, eroberte er nicht die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Wahlkasse war so bescheiden, daß die Partei sogar ihre Tageszeitung „Le Jour“ einstellen mußte. Die Liberalen hatten hingegen, als an der Macht befindliche Partei, natürlich keine finanziellen Probleme. Bei der kommenden Volksabstimmung über die Zukunft Quebecs werden die P6quistes (wie man sie nennt) als Regierungspartei zweifellos nun ihrerseits die nötigen Gelder besitzen.

So unglaublich es klingen mag, sind nicht wenige Kanadier heute der Ansicht, die Nation befände sich ohne den „Unruheherd“ Quebec in einer besseren Lage. Tatsächlich hat die Mehrzahl der „Canucks“ den Triumph der Separatisten in Quebec mit bemerkenswerter Gelassenheit zur Kenntnis genommen.

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