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„Evangelist“ für Trudeau

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In der politischen Arena des zweitgrößten Landes der Erde kann eine interessante Machtverschiebung eintreten. Fast 30 Prozent der 22 Millionen Kanadier sind weder britischer noch französischer Herkunft. Als Minister für Multikultur in der Regierung Trudeau will Dr. Stanley Haidasz (50), dessen Eltern aus Polen auswanderten, der Bannerträger dieser „Dritten Macht“ werden.

Der Arzt aus Toronto, bereits als „Evangelist der Minoritäten“ bezeichnet, hat vielleicht besser als jeder andere Politiker die Bedeutung der „Neukanadier“ erkannt, die seit Kriegsende mit dem Zustrom von mehr als 3,500.000 Einwanderern eine dramatische Verstärkung erfuhren. Der Kampf zwischen den Franko-Kanadiern und den Anglo-Kanadiern um Machtpositionen könnte durch das Auftauchen der „Dritten Macht“ eine Sinnverschiebung erfahren.

Das Absinken der Popularität von Premierminister Pierre Trudeau unter den Anglo-Kanadiern spiegelte sich in dem Wahlresultat des Vorjahres. Während dem liberalen Regierungschef in seiner Heimatprovinz Quebec ein eindrucksvoller Triumph glückte — seine Partei eroberte in der Belle Province 56 Mandate, die Konservativen nur 2 —, erhielt diese stärkste der Oppositionsparteien in allen anderen Provinzen mehr Stimmen als die Liberalen.

Während in den Jahren des liberalen Regimes einem Governor-Gene-ral britischer Herkunft ein Franko-Kanadier folgte (das gleiche gilt für die Führung der liberalen Partei), stand nun zum erstenmal ein Reprä-

sentant der „Dritten Kraft“ im Gespräch. Doch schließlich fiel die Wahl nicht — wie von manchen vermutet — auf George Ignatieff (Crackdiplo-mat, ehe er Provost des Trinity College der Universität von Toronto wurde), sondern auf den Franko-Kanadier Leger.

Premierminister Pierre Trudeau kann nur so lange in Ottawa an der Macht bleiben, solange seine Minderheitsregierung auf die Stimmen der Sozialisten zählen kann. Diese Toleranz dürfte nicht allzu lange währen, und heute herrscht die Meinung vor, daß Neuwahlen im Frühjahr zu erwarten sind.

Nun 'gilt es für die Liberalen außerhalb der „Belle Province de Quebec“ Terrain zu gewinnen und die Bemühungen des Multikulturmini-sters Dr. Haidasz unter den Minoritäten des Bevölkerungsmosaiks könnten von nicht unwesentlicher Bedeutung sein. In dieser Sphäre sind auch die Sympathien der finanzschwachen, doch oft politisch gewichtigen Volksgruppenpresse wichtig. Großinserate, in denen die Bedeutung und die Aktivitäten des Multikulturministeriums erwähnt wurden, erschienen gleichzeitig in 128 Publikationen und in 31 Sprachen; die Kosten dieser Anzeige überstiegen 230.000 Dollar. Das Multikulturmini-sterium unterstützt auch sehr aktiv und großzügig eine bedeutende Zahl kultureller Programme der Minoritäten. An der soeben in Ottawa abgehaltenen Ersten Konferenz über Multikultur — unter Vorsitz des Senators Carl Goldenberg — nahmen 300 Delegierte von der Küste des Atlantik bis zu jener des Pazifik teil. Auf Staatskosten.

Die begrüßenswerte Aktivität des Multikulturministeriums kann sich bei den nächsten Wahlen auch politisch bezahlt machen. In diesem Fall kann Dr. Stanley Haidasz, der „Evangelist der Minoritäten“, zum Retter der liberalen Regierungspartei im Land der schwärzen Bären werden.

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