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Duell ohne Sieger

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Obwohl Kanadas historische Parteien — die von Premierminister Lester Bowles Pearson geführten Liberalen und die Konservativen John Diefenbakers — den Wählern mehr als ein Don Juan seiner noch widerspenstigen Schönen versprachen, blieb den „Grits“ des Friedensnobelpreisträgers und den „Tories“ die absolute Mehrheit versagt.

Im September hatte sich Pearson zur Ausschreibung von Neuwahlen entschlossen. Da sich das zweitgrößte Land der Erde einer eindrucksvollen Prosperität erfreut und die Konservativen unter Altministerpräsident John Diefenbaker uneinig zu sein schienen, war Pearsons Hoffnung auf eine absolute Mehrheit gerechtfertigt.

Fast alle Vorhersagen ließen einen Triumph der Liberalen erwarten. Peter Regenstreif, der hochbezahlte politische Analytiker des „Toronto Daily Star“ (Kanadas größter Zeitung), prophezeite 140 der 265 Mandate für die Liberalen, 79 für die Konservativen. Fünf Tage vor den Wahlen ergab eine Gallup-Erhebung, daß die Liberalen 44 Prozent der Stimmen (sie bekamen 39 Prozent) und die Konservativen 29 Prozent (sie erhielten 33 Prozent) erhalten würden. Bloß bei den Sozialisten, die 18 Prozent der Stimmen erhielten, bewahrheitete sich die Voraussage...

Doch es kam anders! Während die Liberalen 129 Sitze (wie 1963) gewannen, stieg die Zahl der Konservativen von 95 auf 99 und jene der Sozialisten von 17 auf 21. Die restlichen 16 Sitze wurden von Splitterparteien oder Unabhängigen gewonnen.

Während die Liberalen in Quebec (Kanadas Bayern) 55 von 75, in Ontario (Kanadas Nordrhein-Westfalen) 50 von 85 und in Neufundland alle 7 Sitze eroberten, erwartete sie in den drei Prärieprovinzen ein Fiasko. In dem ölreichen Alberta (Kanadas Texas) verloren sie ihren einzigen Sitz und damit den Landwirtschaftsminister Harry Hays. In Saskatchewan (Weizen und Kali) eroberten die Konservativen, wie 1963, alle 17 Sitze. In Monitoba gewann Veteranenminister Roger Teillet das einzige liberale Präriemandat. Auch dafür gab es eine Erklärung. Die Franko-Kanadier sind traditionell liberal, und Ste. Boniface ist ein Wahlkreis, der vorwiegend von französisch sprechenden Kanadiern bewohnt ist.

Eine weitere liberale Niederlage gab es in Prince Edward Island (der kleinsten Provinz). Hier gewannen die Konservativen alle 4 Mandate; unter den Besiegten befand sich Bergwerksminister Watson Mac-Naught. Ebenso unerwartet war der konservative Triumph in Neuschottland, wo sie 11 der 12 Sitze eroberten. Keine nennenswerten Veränderungen gab es in Britisch-Kolumbien (der westlichsten Provinz) und in Neubraunschweig an der atlantischen Küste: hier bilden Franko-Kanadier mehr als ein Drittel der Bevölkerung.

Am besten schnitten die Liberalen bei den Franko-Kanadiern, in den großen Städten und in Industriegebieten (in denen auch die Sozialisten ihre Positionen verbesserten) ab. John Diefenbaker, der „Präriemessias“, konnte wieder auf die fanatische Treue der Prärieeinwohner zählen. Auch Prince Edward Island ist eine Povinz der Farmen. Der konservative Triumph in Neuschottland hingegen geht in erster Linie auf das Konto des populären Premiers Stanfield und kam in diesem Ausmaß überraschend.

Da in Kanada Koalitionen bisher nur während des Krieges überhaupt auch nur in Erwägung gezogen wurden, sollte es wieder bei einer liberalen Minderheitsregierung bleiben. Wurde der Kampf um Ottawa zum „Duell ohne Sieger“, so ist doch das Verdikt eines Journalisten, der den Wahlkampf von der Küste des Atlantik bis zu jener des Pazifik verfolgte, wegen seiner Originalität bemerkenswert. Peter C. Newraan kam zu dem Schluß: „Die Liberalen gewannen die Wahlen — doch John Diefenbaker gewann den Wahlkampf!“ Der siebzigjährige Prärieanwalt aus Prince Albert (Saskatchewan) schien vor einigen Wochen noch hoffnungslos geschlagen. Sein dynamischer Kampf um die Gunst der Wähler beeindruckte selbst seine Opponenten.

Anderseits konnte Premierminister Lester Bowles Pearson, der erklärte Favorit der Intellektuellen und der Großstädter, nie den „früheren Universitätsprofessor“ (der er war) verleugnen. Auch die Konzessionen seiner Regierung an „La belle Province“ (Quebec) kostete ihn in dem „Goldenen Westen“ Sympathien — und Stimmen...

Da Pearson (68) und Diefenbaker (70) in den letzten drei Wahlen — 1962, 1963 und 1965 — die absolute Mehrheit verwehrt blieb, mag die Suche nach „Kronprinzen“ bei den Liberalen und Konservativen nicht lange auf sich warten lassen. Aber auch in Kanada kommt es oft erstens anders, als man zweitens denkt.

Zweifellos hat das Wahlresultat die Manövrierfähigkeit der Regierung eingeengt. Das Kabinett wird es schwer haben, inflationären Einflüssen Einhalt zu gebieten. Pearsons beste Waffe bleibt der Umstand, daß es keine Partei wagen kann, Neuwahlen zu provozieren! Schließlich kostete das „Duell der Sieger“ die kanadischen Steuerzahler immerhin zirka 13,500.000 Dollar...

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