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Drama in Raten

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Ein politisches Duell von mehr als gewöhnlichem Interesse geht im „Washington des Nordens“ vor sich. Als Folge der bedeutenden Mandatsverluste am 30. Oktober war eine dramatische Kabinettsumbildung unvermeidlich, bei der sich Premierminister Pierre Trudeau entschließen mußte, den Einfluß seiner engsten politischen Freunde aus Quebec entscheidend zu mindern.

Die politische Zersplitterung Kanadas und die immer größer werdende Kluft zwischen dem vorwiegend französischsprachigen Quebec und den anderen Provinzen spiegelte sich in dem Wahlresultat. In der Belle Province de Quebec erhielt Trudeaus liberale Regierungspartei 56 Mandate — die Konservativen deren bloß 2. In den anderen Gebieten eroberten die Konservativen 105 Wahlkreise — die Liberalen bloß 53.

Da die liberale Regierungspartei nur 109 der 264 Abgeordneten stellt, sind Neuwahlen im nächsten Jahr unvermeidlich. Premierminister Trudeau hat erkannt, daß die Entscheidung über sein politisches Schicksal bei der nächsten Stimmabgabe in der Kernprovinz Ontario fallen wird. Anderseits sollte es ihm möglich sein, die enorm starke Position in seiner Heimatprovinz Quebec — ohne bedeutende Verluste — zu halten.

Kanadas neue Regierung trägt diesem Umstand Rechnung. Während das Außenministerium (Mitchell Sharp) und das Finanzressort (John Turner) bei diesen Repräsentanten Ontarios verbleibt, „erbte“ die Kernprovinz von Quebec das wichtige Industrie- und Handelsministerium (nun Alastair Gillespie), das Kulturministerium (Hugh Faulkner) und das Einwanderungsministerium. Anderseits gingen das Gesundheitsministerium und das Wissenschaftsministerium — Ressorts von geringerem politischen Gewicht — an Quebeker. Doch Ontario sicherte sich auch das Landwirtschaftsministerium, das vordem fast immer einem Prärieabgeordneten zufiel. Doch die Antipathie gegen Trudeau im „Goldenen Westen“ führte dazu, daß die Regierungspartei nur in sieben der 68 Wahlkreise reüssierte — und ihre Chancen westlich von Ontario scheinen kaum verbesserungsfähig. Interessanterweise wurde das Wissenschaftsministerium mit Jeanne Sauve (50), der einzigen Frau im Kabinett, besetzt.

Kulturminister Gerard Pelletier und Jean Marchand, Minister für Regionale Wirtschaftsexpansion, waren Trudeaus treueste Kampfgefährten. Die drei Quebeker — alle 53 Jahre alt — kamen zur gleichen Zeit nach Ottawa. Doch während wohl die Entscheidungen, doch niemals die Integrität von Pelletier — unter anderem für die Subsidien im Sektor Kultur verantwoirtlich — mitunter umstritten waren, geriet Marchand immer wieder in das Kreuzfeuer der Kritik. Er wurde beschuldigt, seine Heimatprovinz Quebec bevorzugt zu haben, während andere Attacken darauf zielten, daß Marchand bei der Ausschüttung hoher Summen für die Förderung von Industrien in Gebieten, die von der Prosperität noch weniger erfaßt waren, kaum von politischen Motiven frei war. Nun hat Trudeau seinen Freund Jean Marchand in das harmlose Transportministerium abgeschoben, während Pelletier das unwichtige Com-munications-Departement zufiel. Es entbehrt nicht einer herben Pikan-terie, daß an dem Tag der Kabinettsumbildung der Filmregisseur Claude Jutras und der Filmstar Genevieve Bujold die Annahme des „Kanada-Ordens“ brüsk ablehnten — wohl als Beweis ihrer Sympathien für die Quebeker Separatisten. Dabei hatte Pelletier das Filmschaffen in Quebec mit mehr Elan — und mit mehr Steuergeldern — gefördert als je ein Kulturminister vor ihm.

Am 30. Oktober stimmten mehr als 60 Prozent der Wähler gegen Trudeau. Heute deuten alle Anzeichen darauf hin, daß Robert Stanfield — der fähige, gewissenhafte, aber ein wenig farblose Führer der Konservativen — nach den kommenden Wahlen Kanadas Premierminister sein wird.

Sein Charisma brachte Pierre Trudeau an die Macht. Der inflationäre Trend, die hohe Arbeitslosigkeit, wirtschaftspolitische Schnitzer und seine Arroganz beraubten ihn der parlamentarischen Mehrheit. Schon werden Vermutungen laut, daß der Millionärsproß aus Montreal — früher als vielleicht von vielen erwartet — die Führung der liberalen Partei an den Finanzminister John Turner (43) abgeben wird.

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