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Kampf um die Belle Province

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Quebec wählt am 15. November, und die Separatisten drängen zur Macht. Ihr Ziel ist die Ausrufung einer autonomen Republik Quebec. Bis heute ist Kanadas größte Provinz eine „französische Insel“ in Nordamerika geblieben. 80 Prozent der 6,200.000 Quebeker sind französischer Abstammung, und es läßt sich nicht leugnen, daß hier die Mädchen charmanter sind, die Zeitungen lebhafter und die politischen Geschehnisse dramatischer als anderswo in Kanada.

Bei den jüngsten Wählerbefragungen lagen die Liberalen und der separatistische Parti Quebecois Kopf an Kopf, doch die konservative Union Nationale kann alle Voraussagen über den Haufen werfen. Wohl ist Quebec in der Staatspolitik eine Hochburg der Liberalen, bei den Provinzwahlen aber gehen die Uhren oft anders. Die Union Nationale beweist es. Von 1944 bis 1960 und von 1966 bis 1970 regierte sie in Quebec — doch bei den letzten Wahlen erhielt sie kein einziges Mandat. Am 15. November kann der Union Nationale ein bescheidenes „Comeback“ gelingen. Voraussagen über Wahlresultate in der Belle Province sind allerdings riskant. Heute wieder scherzt man in Montreal: „Unsere Wahlen sind wie ein Pferderennen. Am Tag nachher weiß man mehr darüber.“

Es mag als paradox erscheinen, daß viele der „Franzosen Kanadas“ die Absplitterung. en einem der beneidenswertesten aller Staaten anstreben. Das zweitgrößte Land der Erde hat unendlich viele Bodenschätze und die reichen USA als einzigen Nachbarn und Abnehmer von 68 Prozent seiner Exporte. Anderseits ließ die Gründung so vieler Staaten seit dem Kriegsende auch in Quebec die Flammen des Nationalismus hellauf flackern. Wird der Separatistenführer Rene Levesque gefragt, wie denn Quebec als unabhängiger Staat ohne Erdölvorkommen existieren könne, kontert er: „Wir haben weder Orangen noch Elefanten. Wie Schweden. Und Schweden hat den höchsten Lebensstandard der Welt.“

Wird Quebec eine unabhängige Nation, so wünscht Rene Levesque harmonische Beziehungen mit Kanada: „Wir würden keine .Berliner Mauer' am Ottawa River errichten!“

Die Geschichte der kanadischen Franzosen geht auf das Eintreffen des Seefahrers Samuel de Cham-plain zurück, der anno 1605 in Quebec landete. Der Kampf zwischen Briten und Franzosen um die Vorherrschaft in Nordamerika endete im Jahre 1759, als britische Streitkräfte unter General Wolfe Quebec-City erstürmten. Die Franzosen (in Europa mit den Preußen im Kampf) konnten nicht genügend Verstärkungen in die ferne „Nou-velle France“ senden, und so kamen denn mehr als 60.000 französische Untertanen unter britische Herrschaft. Britische Fairneß machte sie zu loyalen Bürgern des neuen Regimes. Als im Jahre 1812 amerikanische Truppen einfielen, kämpften Frankokanadier und Anglokanadier „mit vereinten Kräften“ gegen die eindringenden Streitkräfte. Aus England kamen Verstärkungen, und British-North-America war gerettet. Der Vertrag von Chent, im Jahre 1814 unterzeichnet, sicherte den Frieden.

Der Einfluß Quebecs auf Kanadas Politik war niemals größer als in der jüngsten Zeit. Louis Saint-Lau-rent war von 1948 bis 1957 Premierminister; eine Position, die Pierre Trudeau seit 1968 einnimmt. Trotzdem ist der Separatismus der Quebecois zu einer Gefahr für die Nation Kanada geworden. Wie groß diese Gefahr ist, wird sich am 15. November zeigen.

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