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Während seiner Pariser Gespräche mit französischen Ministern, Publizisten und Wirtschaftsführern berichtete der Separatistenführer Rene Levesque (50), daß es bereite innerhalb von zwei Jahren zur Ausrufung der Republik Quebec kommen könne. Der Führer des Parti Quebecois, der bei den letzten Wahlen in der größten Provinz des zweitgrößten Landes der Erde fast ein Viertel der Stimmen erhielt, war ein prominenter Montrealer Hörfunk- und Fernsehkommentator der staatlichen Canadian Broadcasting Corporation, ehe er Politiker und einer der prominentesten Minister in der von Premierminister Lesage geführten liberalen Quebecer Regierung wurde. Heute dominiert Rene Levesque die separatistische Bewegung, zu der sich viele der besten Köpfe der Belle Province bekannten.

Levesque erwähnt, daß er „diskrete Sympathien“ von der französischen Regierung erwarte; ein Kommentar, den er nach einer zweistündigen Unterredung mit außenpolitischen Beratern von Premier Jacque Chaban-Delmas gab. Doch Levesque wies darauf hin, daß die Republik Quebec gute Beziehungen mit „unserem Nachbarn Kanada“ unterhalten und auch eine Zollunion anstreben werde.

Gemäß der jüngsten Statistik kletterte die Arbeitslosigkeit in Quebec von 7,7 auf 8,1 Prozent — verglichen mit dem kanadischen Durchschnitt von 6,2 Prozent. Die zur Zeit in Quebec herrschende Streikwelle trägt viel zur Verschlechterung des politischen Klimas bei.

Während sich Trudeau bemühte, beruhigend zu wirken, erfuhren seine Worte eine nicht unwesentliche Abschwächung, als bekannt wurde, daß die Regierung — in aller Stille — ein „Crisis Management Centre“ unter der Führung von General

Michael Dare kreiert habe. Dem Reporter Clair Balfour glückte die Entdeckung dieser Vorsorgeeinrichtung, deren Existenz bis dahin vollkommen unbekannt war.

Mittlerweile weist der Seperati-stenführer Rene Levesque darauf hin, daß fast 80 neue Nationen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte entstanden sind und daß mehr als die Hälfte davon eine geringere Bevölkerungszahl als Quebec (6,100.000 Einwohner) habe. Gleichzeitig arbeitet ein Komitee unter Führung des Universitätsprofessors Jacques-Yvan Morin von der Universität Montreal an dem Entwurf einer Verfassung für Quebec. Sie beginnt mit den Worten: „Quebec ist eine demokratische und soziale Republik. Sie garantiert allen Bürgern, ohne Unterschied der Abkunft, Rasse, des Geschlechts oder der Religion, Gleichheit vor dem Gesetz. Das nationale Emblem ist das weißblaue Lilienbanner...“

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