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Kanadas mächtige Bestie“

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Kanadas Altministerpräsiident Lester B. Pearson, der Friedensnobelpreisträger, hat die Beziehungen zwischen den USA und Kanada mit den Worten charakterisiert: „Sie sind wie das Leben mit der Gattin. Manchmal ist es schwierig und selbst irritierend, doch es ist unmöglich, ohne sie auszukommen."

Ein goldener Strom von mehr als 800 Millionen Dollar ergießt sich jedes Jahr über die 3896 Meilen lange Grenze und bringt immer mehr kanadische Konzerne unter US-Kon- trolle. Einen Strom ganz anderer Art bilden die mehr als 50.000 amerikanischen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, die in Kanada eine neue Heimat suchen. Doch das Leben in Kanada wird nicht bloß von jenen Amerikanern, die dem Waffendienst in den USA abhold sind, vorgezogen, im Laufe der letzten Jahre — so sagt Einwanderungsminister Allan J. McEachen — ließen sich auch 7487 amerikanische Ärzte in Kanada nieder. Und mehr als 1000 amerikanische Professoren lehren an kanadischen Universitäten; eine enorme Zahl, wenn man berücksichtigt, daß an den britischen und US-Universi- täten weniger als 3 Prozent der Professoren Ausländer sind.

Kanadas „sechste Kolonne“

Anderseits gehören nicht weniger als zwei Drittel aller kanadischen Arbeiter, die organisiert sind, Gewerkschaften an, die ihr Hauptquartier in den USA haben. Was den enormen Einfluß der amerikanischen Interessen in Kanadas Industrie betrifft, hat der „Toronto Daily Star“ — die größte Zeitung des zweitgrößten Landes der Erde — dafür eine besondere Bezeichnung geprägt: „Kanadas Sechste Kolonne."

Präsident Eisenhower sagte einst über die kanadisch-amerikanische Grenze: „Sie hat weder Kanonen noch Forts und nur eine einzige Waffe — Freundschaft!“ Heute läuft es vielen Kanadiern kaltheiß über den Rücken, wenn sie an das US- Raketenabwehrsystem nahe der gleichen Grenze denken. Premierminister Pierre Trudeau mag auch daran gedacht haben, als er während seines Besuches in Washington erklärte, Kanadas Dasein neben den USA gleiche dem Schlafenden neben einem Elefanten. Wie freundlich und gut gelaunt die „mächtige Bestie“ auch sei, man werde von jeder ihrer

Bewegung berührt. Selbst ein freundliches Anschmiegen könne mitunter beängstigende Folgen haben...

Noch vor wenigen Jahren behauptete die US Chamber of Commerce in einer Broschüre: „Es wird allgemein angenommen, daß sich Kanadier und Amerikaner so warm über die Grenze zulächeln, daß die großen Seen niemals vollkommen zufrieren können.“ Doch die Zeiten ändern sich auch in dieser Sphäre: Premierminister Pierre Trudeau hat sehr freimütig erklärt, er würde ohne Zögern auch Maßnahmen ergreifen, die von Washington nicht gebilligt würden. Er fügte entwaffnend hinzu: „Nicht, um den Tiger in den Schwanz zu zwicken, sondern um auf der internationalen Szene eine .Politik der Vernunft’ zu machen..."

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