6775509-1969_20_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Kriegsruf „Rote Macht“!

Werbung
Werbung
Werbung

So schlecht geht es vielen Ureinwohnern Kanadas, daß selbst Kabinettminister Robert Andras dies als „nationalen Skandal“ brandmarkte. „Die Weißen haben das Land der Indianer gestohlen, ihre Kultur fast zerstört und sie ihres Stolzes beraubt“, behauptet Tommy Douglas, vor dem Premier der Prärieprovinz Saskatchewan und heute einer der prominentesten Abgeordneten des Bundesparlaments. Der „Toronto Star“, Kanadas größte Zeitung, weist darauf hin, daß Indianer eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 34 Jahren haben, verglichen mit dem kanadischen Durchschnitt von 62 Jahren. Die Sterblichkeit der Indianerkinder im vorschulpflichtigen Alter ist achtmal so groß wie die der anderen Kinder.

Schon gewinnen militante Indianer mit dem Slogan „Red Power“ (Rote Macht) in manchen Gebieten die Oberhand. Verächtlich bezeichnen diese Heißköpfe friedfertige Elemente als „Uncle Tomahawks“ (die rote Version des schwarzen Onkel Tom). Tony Antoine von der Alliance for Red Power klagt die Weißen an, die Indianer der Selbstachtung beraubt zu haben, und fordert: „Wir wollen unser Land zurück haben!“ Ein hoher Staatsbeamter, der lange als Berater der Regierung in „Indian Affairs“ wirkte, warnt: „Kanadas Indianer ist in einer Flasche. Wenn nicht bald etwas für ihn geschieht, wird er zornentbrannt ausbrechen, und der weiße Mann wird einen hohen Preis für sein Verhalten zahlen müssen.“

Im kanadischen Fernsehen erscheint der Crackreporter Pierre Berton mit prominenten Rothäuten vor den Kameras und widmet in einer einzigen Woche fünf Programme dem Thema „Die Revolution der Indianer“.

Kanadas Ureinwohner fordern mehr Rechte, und ihre Ungeduld wächst. Kahn-Tineta Horn, die bildhübsche Mohawk-Indianerin von dem Caughnawaga-Reservat — die auf ihren Vortragsreisen auch Europa besuchte — erklärt, daß Kanadas Indianer zu den Ärmsten der Welt zählen. Sie fordert die Verwertung des Landes in den Reservaten, das oft brach liegt, während junge Rothäute zu den Slums in den Städten ziehen. Kahn-Tineta Horn weist darauf hin, daß es in vielen Gebieten überhaupt keine ärztliche Behandlung für Indianer, gibt. Besonders schlecht ist die Lage der jungen In-dianermädel, die in der Stadt ihr Glück zu finden hoffen. Oft werden sie als Prostituierte ausgebeutet. Während beispielsweise Rothäute nur drei Prozent der Einwohner von Saskatchewan stellen, bilden Indianerinnen die Mehrheit der Häftlinge in den Gefängnissen für Frauen.

Metis (Mischlinge, Nachkommen von Weißen und Indianern) sind oft militanter als die Rothäute. Dr. Howard Adams, der Metisführer in Seskatchewan, behauptet: „Wir sind ein unterdrücktes Volk, das in der Sklaverei lebt!“

Hervorragende kanadische Juristen, wie Universitätsprofessor Cumming (Toronto), fordern die Regierung auf, das den Indianern in den letzten 100 Jahren angetane Unrecht gutzumachen. Wie sehr Indianer bei Grundstücktransaiktionen benachteiligt wurden, zeigt die Shannon-Episode. Mohawks der Bay von Quinte wollten hier einen Pachtvertrag für 200 Acker ihres Reservates lösen. Die 900 Rothäute des Reservates erhalten als Vergütung 60 Sack Mehl je Jahr — oder 4 Pfund per Kopf. Der Pachtvertrag, im vergangenen Jahrhundert unterzeichnet, hat eine Laufzeit von — 999 Jahren!

Die Regierung Trudeau ist in diesen Tagen bemüht, das Unrecht vergangener Jahrzehnte gutzumachen — ehe es Agitatoren gelingt, Unruhen unter den Rothäuten zu entfachen. Zum erstenmal gehört nun ein Indianer -dem Bundespardament' an; der Abgeordnete Len Marchand, der den Wahlkreis Kamloops-Cariboo an der Westküste für die liberale Regierungspartei eroberte. Auch dieser junge Indianer wird bei der Neufassung des Indian Act ein gewichtiges Wort zu sagen haben. Doch Kanadas Rothäute — so bezeichnet, weil ihre Vorfahren Sich mit Roteisenocker zu bemalen pflegten — werden immer ungeduldiger. Fürsprecher der „Roten Macht“ wollen es den radikalen Negern der USA gleichtun, die unter dem Banner der „Schwarzen Macht“ zu Gewaltakten schritten, um für ihre Rechte zu kämpfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung